Schattenblüte. Die Erwählten

Rat verständigt.»
    «Nein, das habe ich nicht getan.»
    «Du hast dir nicht überlegt, dass sie möglicherweise ein Spion ist?»
    In welche Richtung geht dieses Gespräch? Ich dachte, wir wollten zwei entkommene Werwölfinnen einfangen? «Und was hätte sie ausspionieren sollen?»
    «Die Lage der geheimen Wohnung, in der eure Gruppe ausgebildet wurde, ebenso wie den Namen jedes Mitglieds dieser Truppe und dessen Kampfstärke.»
    «Ja, Luisa wusste, wo wir wohnen und wer zu der Gruppe gehört. Aber was sollte sie groß über unsere Kampfstärke verraten? Kämpfen haben uns die Werwölfe doch schon genug gesehen, und Luisa war nie im Trainingsraum. Luisa und ich, wir haben über unsere ehrenamtliche Tätigkeit im Krankenhaus gesprochen und über alltägliche Probleme. Wir waren doch einfach nur befreundet!»
    «So gut befreundet, dass du sie küsst?»
    Sie haben uns also auch die ganze Zeit überwacht? So wie sie Haddrices Verhalten aufgezeichnet haben? Der Kuss, das war mein Moment, meiner und Luisas. «Ihr habt … ?»
    «Ja, wir haben auch das gesehen, natürlich.»
    Ich hätte mir denken können, dass es nicht nur ein Video von Haddrice gibt. Ich hätte die ganze Zeit daran denken sollen, dass die Wölfinnen sicher lückenlos videoüberwacht werden. Und jetzt will Vittorio eine Erklärung. Natürlich. Wie viel es mir bedeutet hat, sie zu küssen, das wird er nie erfahren. Meine Gedanken und Wünsche gehören mir. Doch den einen, den vorrangigen Grund, aus dem ich Luisa geküsst habe, können sie ruhig wissen. «Ich wollte, dass Luisa sich durch meine Berührung an ihr altes Leben erinnert.»
    Vittorio scheint amüsiert. «Wie bitte?»
    «Die Anwesenheit eines Engels bringt geistige Klarheit.»
    «Eines Engels! Die Anwesenheit eines Engels, mein lieber Elias! Deine wenigen Tropfen Engelsblut reichen für so ein Wunder wohl kaum aus.»
    «Nein, meine Anwesenheit allein hätte nicht ausgereicht. Darum musste ich sie ja auch berühren.»
    «Alten Berichten zufolge verletzen sich Shinanim und Werwölfe gegenseitig allein durch ihre Berührung. Das Licht des Himmels und die Schatten der Tiefe bekommen einander nicht.»
    Ja, das habe ich damals bei unserer ersten Berührung auch erfahren müssen. Ich hatte ihr die Engelsmale auf meinem Rücken gezeigt, die länglichen narbenähnlichen Flecken über den Schulterblättern, dort, wo bei Engeln die Flügel sitzen würden. Sie war neugierig und wollte wissen, wie sich diese Stellen anfühlen. Also hat sie ihre Hände daraufgelegt. Ein schmerzhafter Energiestoß fuhr von mir zu ihr, als hätte man zwei stromführende Kabel kurzgeschlossen. Dabei war sie damals noch nicht mal ganz Werwolf. Damals war ich unvorbereitet, doch inzwischen weiß ich, wie man den Energiefluss kontrolliert. «Ich war äußerst vorsichtig. Wenn Ihr gesehen habt, wie ich sie geküsst habe, dann habt Ihr vielleicht auch bemerkt, wie sie mich danach wiedererkannt hat.»
    «Sie hat dich mit deinem Namen angesprochen, den du ihr bereits vorher mehrfach gesagt hast.»
    «Sie war wütend auf mich, denn sie hat sich an den Streit erinnert, den wir bei unserer letzten Begegnung hatten.»
    Vittorio betrachtet mich, als würde er in meinem Gesicht nach etwas suchen, das ihm Gewissheit gibt, ob ich die Wahrheit sage. «Deine bloße Berührung, wie intensiv oder vorsichtig sie auch immer gewesen ist, soll bei einer Werwölfin das Gedächtnis wiedererweckt haben? Wenn das wahr ist, hast du mehr Macht, als ich dachte. Was dich nicht weniger gefährlich macht.»
    Fast muss ich lächeln. «Gefährlich soll ich sein? Für wen? Doch wohl nur für unsere Feinde!»
    «Ja, und genau da liegt mein Problem. Ich bin mir im Moment nicht ganz im Klaren, wer deine Freunde und wer deine Feinde sind.»
    Ich stütze meine Arme auf die Tischplatte. «Ich bin ein Shinan. Ich denke, damit ist die Frage doch wohl beantwortet.»
    Vittorio lehnt sich in seinem Stuhl zurück, als wollte er einen Abstand zwischen uns bringen. «Hmm, lass mich überlegen. Du küsst die Werwölfin Shorou, die, wie du sagst, ursprünglich deine Freundin Luisa war. Dann begleitest du diese Werwölfin aus dem Raum, in dem sie sicher eingeschlossen war, ohne uns zu Rate zu ziehen. Ihrem Wunsch gemäß bringst du sie zu ihrer Gefährtin Haddrice, deren Namen dir ebenfalls geläufig ist, und lässt sie dort zurück. Ohne sie ebenfalls zu sichern, wie ich hinzufügen muss.»
    «Mir blieb dazu keine Zeit. Ihr wart es, der mich dringend sprechen wollte,