Schattenblüte. Die Erwählten
Vittorio bitten müssen, dass mein Vater Schutz von den Shinanim erhält und nicht mehr aus den Augen gelassen wird. Nicht, bis ich Nick endlich dazu gebracht habe, seine Schuld anzunehmen und seine Strafe abzusitzen.
Am nächsten Morgen haben Adrian und Delwin sich immer noch nicht gemeldet. Ich frage in der Kommunikationszentrale nach, doch die haben auch keine Nachricht erhalten. Die Handys sind ausgeschaltet. Die Signale auf dem Bildschirm bewegen sich nicht. Offenbar rasten sie.
Ich lenke mein Auto zur «Luise», um zu hören, was Adrians geheimnisvoller Bekannter zu sagen hat. Die Luise. Im Sommer habe ich hier öfter mit meinen Kommilitonen im Biergarten unter den alten Bäumen gesessen. Damals, als ich noch nicht meine gesamte Zeit für den Orden der Shinanim aufwenden musste. Ich parke in einer Seitenstraße und steige aus in die Kälte. Natürlich, denke ich, während ich die Treppe zur Eingangstür hinaufgehe, «Luise» muss die Kneipe heißen. Und schon wieder habe ich Luisa im Kopf. Ob Adrian und Delwin inzwischen eine Spur von ihr haben?
Egal, es ist besser an Luisa zu denken, als sich weiter über Nick zu ärgern. Die schwere Eingangstür lässt mich durch und den Winter draußen. Trockene Heizungswärme begrüßt mich. Ich sehe mich um. Wer mag dieser Mann sein, den Adrian mir vorstellen will? Rechts in dem separaten Raum gegenüber dem Zigarettenautomaten sitzt jedenfalls niemand. Also weiter hinein. Warum will der Mann mich kennenlernen? Ob er mir etwas über Nick sagen kann? Schnell lasse ich meinen Blick schweifen. Auf der Empore prostet sich ein Pärchen mit Sekt zu. Gegenüber der Bar an dem Stehtisch in der Ecke sitzt ein Junge auf einem Barhocker und blättert in einer Zeitung. Ich werfe rasch noch einen Blick in das Restaurant dahinter, doch dort sitzen ebenfalls nur ins Gespräch vertiefte Paare und am Fenster zwei Damen mit Hut, die die Speisekarte studieren. Das Beste wird sein, ich setze mich an die Bar und warte, dass entweder der Fremde mich findet oder Adrian doch noch kommt. Der Junge vom Stehtisch, ist er ein Student? Nein, er ist zu jung, um Student zu sein. Er sieht von seiner Zeitung auf, legt sie neben sein Mineralwasser und kommt auf mich zu. Er sieht unsicher aus. Sucht er die Toilette, oder braucht er eine neue Zeitung?
«Elias?», fragt mich der Junge.
Ich nicke. «Ja, das bin ich.» Ist das der «Mann», den ich kennenlernen soll? Wo um Himmels willen hat Adrian den aufgegabelt?
An seinem Tisch gleite ich auf einen freien Barhocker, er klettert mühsam auf seinen. «Woher kennst du denn Adrian?», frage ich. Und denke: Was soll das, Adrian? Das ist noch ein Schuljunge, ein einfacher Schuljunge.
«Ach, eigentlich gar nicht.» Er schiebt die Zeitung über die dunkle Tischplatte, faltet die Hände, und dann sieht er mir wieder mit diesem offenen Blick von eben ins Gesicht. «Ich wollte mit dir sprechen. Also ging ich zu eurer Wohnung, Adrian kam an die Tür und sagte mir, du seist nicht da. Wir sind nach oben gegangen und haben uns unterhalten.»
«Moment mal – du weißt von der Wohnung?»
Er lächelt. Vielleicht wäre es sogar ein kleines Lachen, wenn er sich trauen würde. «Genau das hat Adrian auch gesagt. Ich musste unbedingt mit dir sprechen und wusste nicht, wo ich dich sonst treffen würde. Da dachte ich, ich besorge mir einfach deine Adresse, und irgendwann wirst du schon dort auftauchen.»
«Meine Adresse besorgt man sich nicht so einfach.»
«Ich schon.» Er lächelt und senkt mit einem Blick auf den Mann hinter der Bar die Stimme. «Weißt du, ich bin auch ein Shinan. Es ist noch ziemlich neu für mich, ich weiß es erst seit ein paar Monaten.»
Ein junger, frischgebackener Shinan also. Es gibt erstaunlich viele von uns, und zum Glück spazieren nicht alle einfach so in unsere Wohngruppe hinein. «Schön, dass du jetzt einer von uns bist. Was wolltest du denn?»
«Ich –» Der Junge unterbricht sich, als eine blonde Bedienung an unseren Tisch kommt. Ich bestelle ein Bier und für mich einen Kaffee.
«Ich trinke kein Bier.» Er weist auf sein halbvolles Glas Mineralwasser.
«Ist schon in Ordnung», sage ich und lächle der Frau zu.
Der Junge guckt ihr auf den – nein, auf den aufgestickten Namen, der auf ihrer schwarzen Bluse steht.
«Sie heißt nicht Luise, das ist der Name des Lokals», sage ich schmunzelnd, als die junge Frau die Bestellung in ihr Gerät getippt hat und wieder verschwunden ist.
«Ja, ich weiß», seufzt er.
Offenbar habe
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