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Schattenblüte. Die Erwählten

Schattenblüte. Die Erwählten

Titel: Schattenblüte. Die Erwählten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Melling
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Augen. Bevor er protestieren kann, legt Irudit sich seinen linken Arm um die Schulter und ich mir seinen rechten. Er stöhnt leise auf. Ich versuche, sein Handgelenk zu stützen, doch es ist so angeschwollen und voller Brandwunden, dass ich nicht weiß, wo ich anfassen soll. Dann gehen wir los, Schritt für Schritt. Thursen beißt die Zähne zusammen. Wir sind langsam, doch wir kommen voran. Und die anderen?
    Irudit dreht sich fragend zu Haddrice um.
    «Wartet nicht. Geht schon!», sagt sie, ihre Hand noch immer in Norrocks Fell.
    Der Wald ist uneben. Wir schleppen Thursen einen Abhang hinunter, über einen Wanderweg und auf der anderen Seite wieder hinauf. Gerade haben wir einen im Weg liegenden Baumstamm umrundet, da ist Haddrices Gruppe wieder hinter uns. Die Werwölfe haben aus Ästen und Jacken ein Gestell gebastelt, auf dem Norrock liegt. Haddrice geht vorne und Mauriks hinten zwischen den Hölzern. Mit seinem blutverkrusteten Fell sieht Norrock aus wie ein angefahrener Hund. Zrrie geht neben ihm her und passt auf, dass er nicht herunterrollt, als sie ihn über den Baumstamm heben, um den wir eben mühsam herumgegangen sind.
    Wir sind so langsam! Schritt für Schritt für Schritt bahnen wir uns unseren Weg Richtung Wolfslager, wie Krieger nach einer verlorenen Schlacht. Wenn die Shinanim uns jetzt entdecken, können wir nicht weglaufen, unmöglich. Und wir sind alles andere als unauffällig. Wie sollen wir uns mit Norrocks Trage verstecken?
    Da höre ich etwas, weit entfernt. Ein dumpfes Klopfen, wie von Tausenden Soldatenstiefeln, solchen Stiefeln, wie Adrian sie trug. «Was ist das für ein Geräusch, Irudit?», frage ich. «Dieses Trommeln.»
    Irudit lauscht. Dreht ihren Kopf. «Was denn? Da ist nichts», sagt sie.
    «Das ist nur in deinem Kopf», presst Thursen zwischen den Zähnen hervor.
    Auch wenn da nichts ist, ich höre es trotzdem, ein Hämmern, als würde das Herz des Waldes schlagen. Oder ist es mein Herz?
    Ich versuche nicht hinzuhören, versuche nicht zu sehen, dass die Stämme vor mir golden flackernde Ränder bekommen, die einen Augenblick später schweißflammenblau sind. Ich versuche, den Brandgeruch nicht zu riechen und den Geruch nach Zwiebeln und Zitronengras. Alles nicht da. Auch der Boden schwankt nicht. Ich gehe weiter, halte Thursens Arm um meinen Nacken fest, und nach einer Weile wird mein Kopf wieder klarer, und die Bewegung der Welt um mich kommt zum Stillstand. Ich kann wieder normal denken. Glaube ich jedenfalls.
    Irudit hat Haddrice an Norrocks Trage abgelöst. Haddrice umkreist uns in weitem Bogen und hält nach Verfolgern Ausschau. Die Krähen begleiten uns, krächzen, zetern oben über den kahlen Baumwipfeln. Jetzt sind es schon mindestens zwanzig, die im aschfahlen Himmel umeinander kreisen, immer auf einer Höhe mit uns. Thursen hebt den Kopf und sieht zu ihnen hinauf. Er stöhnt leise.
    «Was ist?», frage ich.
    «Die Totenvögel», sagt er und lächelt ein halbes, trauriges Lächeln.
    «Die Krähen sind Totenvögel? Warum sind sie dann hier und nicht bei den toten Shinanim?»
    «Weißt du», beginnt er. Holt erneut Atem, weil er fast all seine Kraft für den Weg braucht.
    «Später», unterbricht ihn Haddrice mit einem Blick, der mehr Warnung als Fürsorge ist. Ehe ich weiter fragen kann, ist sie schon Wölfin und eilt uns in langen Sätzen voraus zum Lager. Wir folgen. Solange Norrock bewusstlos ist, herrscht sie.

[zur Inhaltsübersicht]
    33. Elias
    WIE kann es sein, dass die Zentrale einfach so den Kontakt zu Adrian und Delwin verloren hat? Ich verlasse das Lokal im Laufschritt, springe ins Auto und rase zurück in die Zentrale. Das Ordenshaus, unsere Feste, ist ja nicht weit von hier.
    «Was meinst du, was passiert ist?», fragt Edgar. Ich wollte ihn gar nicht mitnehmen, aber er ist mir einfach gefolgt.
    Die Ampel vor uns springt um. Ich lasse den Fuß auf dem Gaspedal und überfahre die Kreuzung bei Dunkelgelb. «Was weiß ich? Vielleicht sind sie von Werwölfen überrascht, in einen Kampf verwickelt worden und haben ihre Sender verloren.»
    «Ja, das leuchtet ein.» Edgar verstummt und klammert sich, als ich schwungvoll rechts abbiege, an den Sitz. Erst nach zwei tiefen Atemzügen spricht er weiter. «Die haben gute Nasen, die Werwölfe.»
    Das Handy klingelt wieder. Ich bitte Edgar, es aus meiner Jackentasche zu holen, während ich die Spur wechsele. Der Fahrer hinter mir hupt. «Los, mach schon, nimm das Gespräch an», sage ich zu Edgar. Vielleicht ist es

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