Schattenblüte. Die Erwählten
Adrian.
Edgar drückt auf das Feld auf dem Display und hält mir das Handy hin.
Ich belle: «Ja?»
Stille. Etwas knistert. Dann, als ich schon auf das Gelände des Ordenshauses einbiege, höre ich endlich Jordan. Adrian und Delwin sind gefunden worden. Sie sind nicht mehr am Leben. Ich passiere den Pförtner, der schon vorab die Schranke öffnet. Als ich auf dem Parkplatz mit viel zu hoher Geschwindigkeit in eine Parklücke biege, scheuche ich eine Krähe auf.
Ich stelle den Motor ab und dann, als ich mich hastig abschnalle, wird mir auf einmal klar, dass es nichts mehr bringt zu laufen. Adrian ist tot. Ich kann nichts mehr ändern und starre nur stumm auf den Grünstreifen vor mir, auf dem die Krähe wieder gelandet ist.
«Es tut mir leid», sagt Edgar und legt mir die Hand auf den Arm. «Es ist immer schlimm, wenn jemand stirbt. Adrian war ein Freund von dir, nicht? Wenn du darüber reden willst, dann mach ruhig. Ich bin ziemlich gut im Zuhören.»
«Und im Reden.»
Edgar nickt mit leisem Lachen. «Das hat Luisa auch immer gesagt.»
Ich schüttle seinen Arm ab und steige aus dem Auto. «Wir haben Luisa verloren. Luisa ist jetzt ein Werwolf.»
«Sie ist also tatsächlich jetzt auch ein Werwolf? So wie Thursen?»
«Ja, genau so. Sie gehört zu denen, die gerade Adrian getötet haben! Sie wird nie wieder so etwas zu dir sagen! Rede nicht so, als wäre sie noch ein ganz normaler Mensch!», sage ich und schließe die Autotür mit einem Knall.
«Du brauchst gar nicht so wütend zu werden. Glaubst du, das weiß ich nicht, was es bedeutet, dass sie Werwolf ist?», sagt Edgar leise und folgt mir trotzdem ins Gebäude wie ein Hund. Als ich mich nach ihm umdrehe, sehe ich, wie ihm Tränen über die Wangen laufen. Das Schlimmste ist, dass ich mich genau erinnern kann, wie Luisa mir, mit angezogenen Beinen auf dem Sofa sitzend, von einem ihrer Mitschüler erzählt hat. Das muss Edgar gewesen sein. Ich höre fast noch, wie sie ihn beschreibt, seine Freundlichkeit und seine unbeirrbare Hartnäckigkeit, und dabei die Augen verdreht und in ihr Teeglas lacht. Ich höre, wie ihr leises helles Lachen sich mit Adrians mischt.
Und jetzt ist sie Werwolf und Adrian tot.
Wir lassen uns berichten, was genau passiert ist. Obwohl, viel ist es nicht, was wir erfahren.
Dann gehen wir in ein Nebengebäude. Ich dachte, die übrigen Gebäude seien nur Tarnung und stünden leer. Doch offenbar haben wir Shinanim hier unser eigenes geheimes Krankenhaus, und gerade sind die Leichen von Delwin und Adrian eingetroffen.
Mit dem Fahrstuhl fahren wir in den Keller, wo wir auf Esther und Vittorio treffen. Nachdem wir Kittel angezogen haben, dürfen wir durch eine breite automatische Tür. Die Leichen liegen bereits auf Metalltischen, abgedeckt mit Tüchern, für uns schlägt man die Tücher zurück. Ein nackter, toter Körper, der aussieht wie Adrian, liegt dort, blass, mit geschlossenen Augen, als hätte ihn jemand versteinert. Adrian war immer so lebendig, respektlos und voller alberner Ideen, kaum vorzustellen, dass er das hier sein soll. Der Raum hat die Temperatur eines Kühlschranks. Das ist wahrscheinlich der Grund, warum ich so zittere.
Die anderen haben mit der Begutachtung von Delwins Körper begonnen. Der Arzt zeigt uns die Stellen, an denen die Werwölfe ihn erwischt haben. Er drückt sich natürlich vorsichtiger aus, muss erst noch alles Mögliche untersuchen, bevor er sich festlegen kann. Doch für mich sind das ganz klar Wolfsbisse. Schließlich hatte ich selbst welche, dank Norrock.
Die gleichen Wunden finden wir auf Adrians Körper. Doch Adrian hat zusätzlich noch Messerstiche in der Brust. Der Arzt zeigt mit seinen behandschuhten Fingern auf kleine schmale rote Striche. Erstochen auch noch? Herr im Himmel, was brauchen Werwölfe Messer, wenn sie Zähne haben? Was müssen Werwölfe überhaupt diese zwei Shinanim töten, die nur helfen wollten? Edgar neben mir hat immer noch ganz rote Augen und wischt sich die Tränen weg. Ich packe ihn beim Arm und schüttle ihn. «Siehst du jetzt, was die Werwölfe für Bestien sind? Siehst du, mit wem deine Klassenkameradin sich eingelassen hat? Sie ist jetzt auch eine von ihnen!»
«Ich habe es ja verstanden!» Edgar läuft nach draußen. Er hat wohl genug. Ich bleibe noch einen Moment bei Adrian und versuche nicht zu sehen, was die Ärzte mit Delwin machen. Ich war so oft im Krankenhaus, auch bei Kindern, von denen ich wusste, dass sie sterben werden. Doch dass Adrian hier tot liegt,
Weitere Kostenlose Bücher