Schattenblüte. Die Erwählten
klebrigen Film, der meine Haut bedeckt. Ich habe nicht nur menschliche Gestalt, ich bin wieder Mensch, ganz und gar Mensch und nichts anderes.
«Es geht vorbei, glaub mir», murmelt Thursen leise.
«Wann?», presse ich zwischen den Zähnen hervor.
«Bald.» Dann spüre ich, wie seine Finger über meinen Rücken streichen und den Zwang zur Verwandlung endlich erträglich werden lassen. «Entspann dich.»
Ich versuche es.
Zrrie kommt nach einer Weile. Sie führt meine Arbeit zu Ende, schient Thursens rechte Hand, die vielleicht gebrochen ist, vielleicht auch nur verstaucht. Sie hat auch Essen und Trinken für uns mitgebracht. Der Schmerz in meinen Armen und Beinen kommt von den gequälten Muskeln, doch der Schmerz in meiner Kehle ist brennender Durst. Erst jetzt fühle ich ihn.
«Trink.» Thursen nimmt Zrrie den gefüllten Becher ab und hält ihn mir an die Lippen.
«Danke.» Ich lege meine Hände um den Becher und trinke gierig. Diesen Becher und dann noch einen.
«So schlimm ist das mit der Rückverwandlung?», fragt Zrrie.
«Hoffentlich war es das», sagt Thursen. «Luisa war nur kurz Wolf.»
Ich horche auf. Das noch mal? Wie oft musste Thursen diese Anfälle ertragen, so lange, wie er als Werwolf gelebt hat?
«Dann könnte sie auch jetzt nicht gegen die Shinanim kämpfen, oder?»
Thursen schüttelt den Kopf. «Was ist mit Norrock?», fragt er.
«Es geht ihm besser.» Zrrie schiebt den Teller mit dem heißen, duftenden Stockbrot, das die Wölfe manchmal über dem Lagerfeuer backen, zwischen uns. «Er ist jetzt in Riekes Zelt.»
Thursen schnuppert den Duft. «Und was sagt Haddrice? Sie will wirklich kämpfen?» Er nimmt sich ein Stück von dem Brot, das wohl etwas zu nah an den Flammen war. Eine Kante ist fast schwarz gebrannt, die andere noch weiß. Thursen reißt einen Bissen mit den Zähnen ab, kaut und schluckt. «Willst du nichts?», fragt er mit Blick auf mich.
Ich huste, so trocken und wund ist mein Hals immer noch. «Später.»
«Haddrice?» Zrrie zuckt die Schultern «Haddrice schmiedet Pläne, wie wir das Lager in eine Art Festung verwandeln. Sie will bereit sein, falls die Shinanim uns finden.»
«Hierbleiben und kämpfen? Wir paar Wölfe gegen die ganzen Shinanim? Das ist doch Selbstmord!», seufzt Thursen. «Was sagt denn Norrock dazu?»
«Norrock geht es besser, er ist aufgewacht, und er hat etwas Wasser getrunken. Aber er ist immer noch Wolf. Keiner weiß, was er sagt», antwortet Zrrie. Füllt noch einmal meinen Becher, dann schlüpft sie aus dem Höhleneingang und lässt uns allein.
«Geht es dir jetzt besser?», fragt Thursen, auf einen Ellenbogen gestützt.
«Der Schmerz ist erst mal weg, aber ich fühle mich total erschlagen», stöhne ich und lasse meinen Kopf zurück ins Laub sinken. Ich fühle mich so schwach, als hätte ich tagelang Steine getragen. Als wäre ich Woche um Woche über endlose Steppenwege gerannt.
«Das ist nicht nur die Rückverwandlung. Wir sind beide im Totenreich gewesen», murmelt Thursen. «Was erwartest du?»
Ich fühle mich tatsächlich, als wäre ich gestorben und wiederbelebt, endlos ausgelaugt, als hätte eine fremde Macht alles Leben aus mir herausgezogen.
Thursen rutscht ganz nah neben mich, dreht sich zu mir, sein Gesicht in meinem Haar. Vermutlich geht es ihm ähnlich. Und dann ist mir jeder weitere Gedanke zu viel, mein Gehirn verknotet sich, und ich höre einfach auf zu denken.
Bis unser Reihenhaus in Hamburg über mir einstürzt und mich unter den Trümmern begräbt. Ich muss eingeschlafen sein. Mit rasendem Herzen und nach Luft ringend grabe ich mich aus dem Traum.
«Albtraum?» Thursen sieht mich an.
«Ja.» Im Dämmerlicht der Höhle erkenne ich ihn kaum. Aber das muss ich auch nicht. Ich weiß, er lächelt jetzt schief mit nur einem Mundwinkel und hat diesen sanften, ein wenig abwesenden, fast verträumten Blick, der mir ganz allein gehört. Ich kenne wieder jede seiner Bewegungen, wie er atmet, wie er lacht. Seit ich wieder Mensch bin, weiß ich auch, wie er als Werwolf war, immer im Kampf mit der Verwandlung und trotzdem zärtlich.
Und dann findet der Schmerz mich wieder. Nicht so ungezügelt diesmal, aber heftig genug. Ich beiße die Zähne zusammen und balle die Fäuste. Versuche mich selbst zu beruhigen. Was ich geträumt habe, war nur ein Albtraum. Das Haus in Hamburg, in dem ich mit meiner Familie wohnte, ist niemals eingestürzt. Wir haben es leer geräumt, sind weggezogen, und dort wohnt sicher längst eine fremde
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