Schattenblüte. Die Erwählten
seinen bandagierten Arm und den Schnitt im Gesicht? Hört sich für mich nicht gerade nach Mord an. Aber ihr Shinanim redet euch ja alles schön. Und hör auf, mich mit deinen Augen zu blenden.»
«Ich meine doch nur», beginnt Edgar, senkt den Blick und unterbricht sich. Zieht fragend die Augenbrauen zusammen und traut sich gerade noch, Haddrice aus den Augenwinkeln mit einem Blick zu streifen. «Bist du dann jetzt die Leitwölfin?»
«Nein, das bin ich nicht. Aber bis er wieder auf den Pfoten ist, kannst du mit mir reden, Shinan.»
«Stimmt das, Luisa?», fragt Edgar mich.
«Ja.» Warum fragt er mich, als wären wir in der Schule und er wäre sich nicht sicher, ob er die Hausaufgaben richtig notiert hat? Wir sind hier keine Klassenkameraden mehr, er ist ein Shinan, und ich gehöre zu seinen Feinden.
«Also?», fragt Haddrice, reißt mit der einen Hand seine Mütze runter und packt ihn mit der anderen Hand unter dem Kinn, dass sein Kopf rückwärts gegen die Baumrinde knallt. «Welche wichtige Botschaft lässt man von einem Anfänger überbringen?»
«Au! Es ist keine richtige Botschaft.» Edgar ist fast nicht zu verstehen. «Vittorio, unser höchster Anführer, der Erzshinan, möchte mit euch sprechen. Einfach nur sprechen. Er möchte euren Standpunkt kennenlernen und gemeinsam mit euch nach einem Kompromiss suchen, wie wir in Zukunft beide in dieser Welt leben können.»
Haddrice lässt ihn los. «Ich lache mich gleich tot. Warum zum Teufel sollte er das tun?»
Edgar leckt über seine Unterlippe. Offenbar hat er sich draufgebissen, als Haddrice sein Kinn nach hinten gedrückt hat. «Ist das nicht klar? Das gegenseitige Töten muss doch irgendwie aufhören. Na ja, vielleicht könnt ihr Werwölfe das nicht so verstehen. Wir Shinanim stammen ja von den Engeln ab. Wir sind dafür geschaffen, Menschen zu helfen und für Frieden und Gerechtigkeit auf der Welt zu sorgen.»
Haddrice knurrt ein Wolfsknurren. «Au ja, das habe ich gemerkt. Der Einzige, den euer Elias geschützt hat, war Nick, der Menschen, unschuldige Mädchen, quält. Übrigens, als ich eine von ihnen war, ein Mensch, als ich auf offener Straße angegriffen, misshandelt, verletzt und gedemütigt wurde, hat sich keiner von euch gezeigt.»
«Vittorio lässt sich dafür entschuldigen. Es tut uns allen außerordentlich leid, dass dieser Verbrecher durch das Eingreifen von einem von uns die Gelegenheit erhielt, unschuldigen Menschen etwas anzutun.»
«Gut auswendig gelernt, kleiner Novize!» Diesmal versteckt sie das dunkle Fell nicht und lässt Edgar zusehen, wie ihr tierisches Ich durch ihre menschliche Gestalt hindurchschimmert.
Doch der ist nicht einmal davon erschreckt. «Also redet ihr mit Vittorio?», fragt er wie ein Junge, der auf seine Belohnung hofft. Was muss eigentlich passieren, damit er endlich versteht, in welch lebensgefährlicher Lage er sich befindet? Was muss passieren, bis er sich vor uns zu fürchten beginnt, wie er es sollte?
Haddrice lacht. «Nein. Warum sollten wir? Uns gefällt es, wie es ist.»
«Sie werden euch sonst alle jagen, fangen und für immer wegsperren.»
Ah, jetzt zeigt er sein wahres Gesicht. Er droht uns. Er war ja auch einfach zu nett, der liebe Edgar. «Sie?», sage ich und tausche mit Haddrice einen Blick. «Warum sagst du nicht ‹wir›? Ich dachte, es sind deine Leute.»
«Ich meine die richtigen Shinanim, die ausgebildeten, die kämpfen können.»
Haddrice schüttelt den Kopf. «Was seid ihr Engelspack nur für ein erbärmlicher Haufen! Die Mächtigen entscheiden alles. Und du, kleiner Novize? Du darfst nur für sie ins Wolfslager gehen und sterben, richtig? Na, dann wollen wir dich mal nicht davon abhalten.» Haddrice schnipst mit den Fingern. Auf das Zeichen hin springen drei Wölfe knurrend und zähnefletschend an Edgar hoch.
«Halt!», wimmert Edgar. «Ihr wolltet doch, dass Nick eingesperrt wird.»
Ich will, dass etwas ganz anderes mit Nick gemacht wird, und ich denke, Haddrice, Rieke und Norrock sehen das ähnlich.
«Und?», fragt Thursen.
«Vittorio dachte sich das. Er hat Nick festnehmen lassen. Das ist sein Angebot. Er garantiert, dass Nick eingesperrt bleibt, dafür müsst ihr zusichern, dass ihr den Menschen nichts mehr tut.»
«Nick bleibt also gefangen?», fragt Thursen nach. Ich könnte ihn dafür schütteln, dass seine Stimme so ruhig bleibt. Wir reden schließlich von Nick, dem Stück Scheiße, das mich geschlagen und gedemütigt und fast getötet hat.
«Wenn ihr auf unser
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