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Schattenblume

Schattenblume

Titel: Schattenblume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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Sie alle gehen, und behalten Sie mich.»

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    KAPITEL FÜNF

    Sonntag

    ie Fahrt nach Sylacauga war ein größerer Umweg,
    Dals Jeffrey angekündigt hatte. Er sagte, sie würden bei
    seiner Mutter übernachten, doch so wie sie vorankamen,
    schätzte Sara, dass sie nicht vor dem Morgengrauen anka‐
    men. Kurz vor Talladega kam der Verkehr wegen eines
    Rennens auf der berühmten Nascar‐Rennstrecke immer
    wieder ins Stocken, doch für Jeffrey stellte das offenbar mehr eine Herausforderung als ein Hindernis dar. Beim
    Ein‐ und Ausfädeln zwischen Personenwagen, Trucks und
    Wohnmobilen ließ er so wenig Abstand, dass Sara sich an‐
    schnallte. Sie war erleichtert, als er endlich vom Highway abfuhr, doch nur so lange, bis ihr auffiel, dass das letzte Fahrzeug, das diese Straße befahren hatte, vermutlich ein
    Pferdewagen gewesen war.
    Je tiefer sie nach Alabama kamen, desto entspannter,
    schien es, wurde Jeffrey, und die langen Gesprächspausen
    waren jetzt angenehm, nicht mehr peinlich. Er fand einen
    Sender mit gutem Southern Rock, und so fuhren sie zur
    Musik von Lynyrd Skynyrd und den Allman Brothers
    durch das waldreiche Hinterland. Unterwegs wies Jeffrey
    auf verschiedene Sehenswürdigkeiten hin, zum Beispiel die

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    drei kürzlich stillgelegten Baumwollspinnereien oder die
    Reifenfabrik, die seit einem Chemieunfall geschlossen war.
    Auch das Helen Keller Center für Blinde war ein imposantes
    Bauwerk, wenngleich Sara bei hundertfünfzig Stunden‐
    kilometern nicht allzu viele Einzelheiten erkennen konnte.
    Jeffrey tätschelte ihr das Knie, als sie das x‐te Bezirks-gefängnis passierten. Lächelnd verkündete er: «Bald sind
    wir da», aber etwas an seinem Ausdruck verriet, dass er in‐
    zwischen doch bereute, sie hierher gebracht zu haben.
    Fast hätten sie die Abzweigung auf eine noch weniger
    befahrene Straße verpasst, und Sara wollte schon fragen,
    ob sie sich verfahren hätten, als sich in der Ferne ein gro‐
    ßes Straßenschild abzeichnete. Laut las sie vor: «Syla‐
    cauga, Geburtsort von Jim Nabors.»
    «Wir sind ein stolzes Völkchen», erklärte Jeffrey und
    schaltete in der Kurve einen Gang runter. «Ah», sagte er liebevoll. «Noch eine Sehenswürdigkeit.» Er zeigte auf
    einen heruntergekommenen Laden. Yonders Blossom.
    Das Schild war ausgeblichen, doch der stattliche Name,
    dessen sich der Laden rühmte, war noch zu lesen. Ver‐
    schiedene Objekte, die man vor einem typischen Laden auf
    dem Land erwartete, waren strategisch im Vorgarten ver‐
    teilt, angefangen von einem Kühlergrill, aus dem Farn
    wuchs, bis zu mehreren alte Reifen, die weiß gestrichen
    und zu Blumenkübeln umfunktioniert worden waren. An
    einer Seite des Häuschens stand ein mannshoher Coca‐
    Cola‐Kühlschrank.
    Jeffrey erklärte: «Hinter dem Eisschrank habe ich meine
    Unschuld verloren.»
    «Im Ernst?»
    «Ja», sagte er mit einem schiefen Grinsen. «An meinem
    zwölften Geburtstag.»

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    Sara versuchte, nicht schockiert zu wirken. «Wie alt war
    sie?»
    Er lachte selbstgefällig in sich hinein. «Nicht zu alt, um von ihrer Mutter übers Knie gelegt zu werden, als der alte
    Blossom Durst bekam und uns erwischte.»
    «Du scheinst diese Wirkung auf Mütter zu haben.»
    Er lachte wieder und legte ihr die Hand auf den Ober‐
    schenkel. «Nicht auf alle, Honey.»
    «Honey?», wiederholte sie. Er hörte sich an, als würde
    er beim Metzger ein Filetstück bestellen.
    Jetzt lachte er über ihre Reaktion, dabei war es ihr vollkommen ernst. «Du machst doch jetzt nicht auf Feminis‐
    tin, oder?»
    Sie betrachtete seine Hand auf ihrem Bein und schickte
    ihm die klare Botschaft, dass er sie wegnehmen sollte, und
    zwar sofort. «Da kannst du Gift drauf nehmen.»
    Er zwickte sie ins Knie und grinste sie mit dem Lächeln an, das ihn vermutlich schon tausendmal vor Ärger bewahrt hatte. Sara war nicht wirklich böse, eher hatte sie das Gefühl, dass er es ihr heimzahlen wollte dafür, wie sie vor ihrer Mutter über ihn geredet hatte. Ganz gegen ihre Gewohnheit ließ sie die Sache auf sich beruhen.
    Langsam fuhren sie durch das Städtchen, das nicht viel
    anders als Heartsdale war, nur noch kleiner. Unterwegs
    zeigte er ihr die anderen «Sehenswürdigkeiten» seiner
    Kindheit. An seinem schiefen Grinsen erriet Sara, dass
    jede dieser Stellen mit einem Mädchen verknüpft war,
    doch die Details wollte sie lieber gar nicht erst hören.
    «Hier bin ich zur Highschool gegangen.» Er zeigte auf
    ein langes flaches Gebäude,

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