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Schattenblume

Schattenblume

Titel: Schattenblume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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vor dem mehrere Wohnwagen
    standen. «Ach ja, Mrs. Kelley ...»
    «Eine deiner Eroberungen?»

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    Er knurrte leise. «Schön wär's. Lieber Gott, sie muss
    heute um die achtzig sein, aber damals ...»
    «Schon verstanden.»
    «Eifersüchtig?»
    «Auf eine Achtzigjährige?»
    «Wir sind da», verkündete er dann und bog links ab. Sie befanden sich auf der Main Street, die ebenfalls der von Heartsdale glich. Er fragte: «Kommt es dir bekannt vor?»
    «Bei euch liegt der Supermarkt zentraler», gab Sara zu‐
    rück und beobachtete eine Frau, die mit drei Tüten im Arm
    und einem kleinen Kind auf jeder Seite aus dem Laden
    kam. Sara sah zu, wie sich die Kinder am Kleid ihrer Mutter festhielten, und fragte sich, wie es wohl war, ein solches
    Leben zu führen. Sara hatte immer gedacht, dass sie,
    sobald ihre Praxis lief, heiraten und selbst Kinder bekommen würde. Doch dann hatte eine Bauchhöhlenschwan‐
    gerschaft nach der Vergewaltigung diese Möglichkeit zu‐
    nichte gemacht.
    Plötzlich hatte sie einen Kloß im Hals, als sie wieder
    einmal daran erinnert wurde, was ihr genommen worden
    war.
    Jeffrey deutete auf ein großes Gebäude zu ihrer Rech‐
    ten. «Das Krankenhaus», erklärte er. «Als ich geboren
    wurde, hatte es nur zwei Stockwerke, mit einem Schotter‐
    parkplatz dahinter.»
    Sie starrte das Gebäude an, versuchte die Fassung wie‐
    derzugewinnen.
    Er reichte ihr ein Taschentuch. «Alles in Ordnung?»
    Sara nahm das Taschentuch. Aus irgendeinem Grund
    machte sie die nette Geste noch weinerlicher. Aber sie
    putzte sich die Nase und sagte nur: «Müssen die Pollen
    sein.»

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    «Klar», sagte er und schloss das Fenster. «Der ver‐
    dammte Hartriegel.»
    Sie legte ihm die Hand in den Nacken und fuhr ihm
    durchs Haar. Sie war immer wieder überrascht, wie weich
    sein Haar war, fast wie bei einem Kind.
    Er blickte auf die Straße, dann wieder zu ihr. Mit seinem schiefen Lächeln sagte er: «Gott, du bist wunderschön.»
    Um das Kompliment zu widerlegen, schnauzte sich Sara
    lautstark die Nase.
    Jeffrey richtete sich auf und fuhr langsamer. «Du bist
    wunderschön», wiederholte er und küsste ihren Hals. Er
    wurde immer langsamer und küsste sie wieder.
    «Du hältst noch den Verkehr auf», warnte sie, doch sie
    waren allein auf der Straße.
    Er küsste sie wieder, diesmal auf die Lippen. Sara war
    hin und her gerissen zwischen dem Impuls sich hinzuge‐
    ben und dem Gefühl, dass das halbe Krankenhaus ihnen
    hinter heruntergelassenen Jalousien zusah.
    Sanft schob sie ihn fort. «Ich will nicht als eine der örtlichen Sehenswürdigkeiten enden, wenn du das nächste
    Mal eine Frau hierher bringst.»
    «Glaubst du etwa, ich bringe andere Frauen her?»,
    fragte er, und sie wusste nicht, ob er es ernst meinte oder
    nicht.
    Hinter ihnen hupte ein Wagen, und so setzten sie ihren
    Weg mit den erlaubten fünfzig Stundenkilometern fort.
    Sara verkniff sich die Bemerkung, dass er sich, seit sie ein-gestiegen waren, zum ersten Mal ans Tempolimit hielt.
    Irgendetwas war anders, aber sie wusste nicht genau was.
    Bevor sie die Frage formulieren konnte, bog er in eine Sei‐
    tenstraße hinter dem Krankenhaus ein, fuhr in eine Auf‐
    fahrt und hielt neben einem blauen Pick‐up. An der vor‐

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    deren Veranda lehnte ein rosa Kinderfahrrad, und von der
    großen Eiche im Vorgarten baumelte ein Autoreifen als
    Schaukel. Sara fragte: «Hier wohnt deine Mutter?»
    «Letzter Umweg», erklärte er. Sein Lächeln wirkte ge‐
    zwungen. «Ich bin gleich wieder da.» Und schon war er
    ausgestiegen, noch bevor sie fragen konnte, wo sie hier
    waren.
    Sara beobachtete, wie Jeffrey zur Haustür ging und
    klopfte. Er steckte die Hände in die Hosentaschen und
    drehte sich zu ihr um. Sie winkte, aber wahrscheinlich
    konnte er sie im Gegenlicht nicht sehen. Jeffrey klopfte
    noch einmal, ohne dass ihm jemand Öffnete. Er drehte sich
    wieder um, beschirmte die Augen gegen die Sonne und be‐
    deutete Sara mit einem Finger, noch eine Minute zu war‐
    ten. Während er ums Haus lief, machte sie die Wagentür
    auf und stieg aus.
    Während sie wartete, sah sich Sara um. Die Nachbar‐
    schaft erinnerte sie an Avondale, nicht gerade das feinste Pflaster in Grant County. Hier standen vor allem Häuser
    aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, die man hastig
    zusammengezimmert hatte, damit die heimkehrenden
    Soldaten Familien gründen und den Krieg hinter sich las‐
    sen konnten. In den vierziger Jahre war dies wahrschein‐
    lich eine

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