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Schattenblume

Schattenblume

Titel: Schattenblume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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seine Geschichte im Großen und
    Ganzen.»
    Sara wartete, dass Jeffrey etwas sagen würde, doch er
    starrte nur auf den Boden.
    Sekundenlang herrschte eine unangenehme Stille, dann
    zeigte Deacon White auf eine Tür hinter Sara. «Wir be‐
    wahren die Kittel im Lager auf. Sie können sich gerne be-dienen.»
    «Danke», sagte Sara und bekam ein ernstes Nicken zur
    Antwort. Vielleicht nahm der Mann es ihr übel, dass sie an seiner Stelle die Obduktion durchführte. Der Bestattungs-unternehmer von Grant County, ein alter Schulfreund
    von Sara, war mehr als froh gewesen, als sie ihm die Verantwortung als Gerichtsmediziner abnahm, doch Deacon
    White schien ein harter Knochen zu sein.
    Sie ging zu dem Lagerraum hinüber, der kaum mehr als

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    ein Wandschrank war. Trotzdem schloss sie die Tür hinter
    sich. Kaum war die Tür zu, begannen die Männer zu re‐
    den. Sie hörte die Stimmen von Hoss und Paul. Anschei‐
    nend ging es um das letzte Basketballspiel der Highschool‐
    Mannschaft.
    Sara faltete einen OP‐Kittel auseinander und schlüpfte
    in die Ärmel. Als sie versuchte, die Bändel am Rücken zuzubinden, kam sie sich vor wie ein Hund auf der Jagd nach
    seinem eigenen Schwanz. Der Anzug war viel zu groß,
    er war offensichtlich Deacon Whites vollschlanker Mitte
    angepasst. Als sie schließlich die Füßlinge und die Haube überzog, kam sie sich in ihrem Aufzug vollkommen lä‐
    cherlich vor.
    Sie hatte schon die Hand am Türgriff, doch bevor sie
    die Tür öffnete, schloss sie einen Moment die Augen und
    versuchte alles zu verdrängen, was in den letzten vier‐
    undzwanzig Stunden passiert war. Die Vermutung, dass
    Robert sich die Wunde selbst zugefügt hatte, könnte ihre
    Untersuchungsergebnisse beeinflussen, und Sara wollte
    ganz sichergehen, dass sie sich nur an die klaren Fakten hielt. Sie war kein Ermittler. Ihre Aufgabe bestand allein darin, der Polizei ihre professionelle Einschätzung mit-zuteilen. Die Polizei hatte selbst zu entscheiden, was sie daraus machte. Das Einzige, was sie tun konnte, war, ihre Aufgabe gut zu erledigen.
    Die Männer wurden still, als sie zurück in den Raum
    kam. Sie meinte ein Grinsen auf Pauls Gesicht gesehen zu haben, doch dann blickte er schnell wieder in sein Notizheft und schrieb mit einem abgekauten Bleistiftstummel
    etwas hinein. Deacon White stand neben der Leiche, und
    Jeffrey und Hoss lehnten mit verschränkten Armen an der
    Wand. Reggie stand am Waschbecken, seine Kamera re‐

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    flektierte das Licht. Im Raum herrschte angespannte Stille.
    Trotzdem wurde Sara das Gefühl nicht los, dass es sich hier
    nur um eine Pro‐forma‐Veranstaltung handelte.
    Sie fragte: «Wo sind die Röntgenbilder?»
    White wechselte einen Blick mit Hoss, dann sagte er:
    «Wir röntgen üblicherweise nicht.»
    Sara versuchte, sich die Überraschung nicht anmerken
    zu lassen. Sie wusste, sie machte sich keine Freunde, wenn
    sie hier reinplatzte und den Leuten auf die Nase band, dass
    sie sie für einen Haufen Dorftrottel hielt. Röntgenbilder
    gehörten zu den Standardvorschriften bei jeder Obduk‐
    tion, und bei einer Kopfwunde waren sie besonders wich‐
    tig. Die Kugel zerschlug den Knochen, wenn sie in die
    Schädeldecke eintrat, und die Lage der Knochensplitter im
    Hirn lieferte aufschlussreiche Hinweise darauf, welchen
    Weg die Kugel genommen hatte. Schnitt man die Wunde
    auf, konnte es sein, dass man die Lage der Splitter veränderte und damit sogar falsche Spuren legte.
    Sie fragte: «Haben Sie die Kugel gefunden?»
    «Im Kopf?», fragte Reggie zurück. Er klang überrascht.
    «Ich hab zwei .22er aus der Wand gepult. In der Nähe
    von seinem Kopf habe ich nichts gefunden außer ...
    Gehirn.»
    «Die Kugel steckt vielleicht noch drin», erklärte Sara.
    Hoss räusperte sich höflich, dann sagte er: «Vielleicht
    hat unser alter Reg die Kugel übersehen. Wir finden sie
    bestimmt, wenn wir nochmal gründlich danach suchen.»
    Reggie wirkte empört, doch als Hoss zu ihm rübersah,
    hatte er sich schon wieder im Griff. Er zuckte die Achseln, als wollte er dem Sheriff sagen: «Kann sein.»
    Sara legte sich ihre Worte sorgfältig zurecht. «Manch‐
    mal bremst das Hirngewebe die Geschwindigkeit der Ku‐

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    gel ab, und die Kugel ist dann zu langsam, um wieder aus dem Schädel auszutreten.»
    Hoss bemerkte: «Von seinem Kopf fehlt die gesamte
    rechte Hälfte.»
    «Dazu kann es auch durch den Schädelbruch kommen.»
    Sara wusste, welche Munition Polizisten am liebsten

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