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Schattenblume

Schattenblume

Titel: Schattenblume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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be‐
    nutzten, und mutmaßte: «Wir reden hier von einer Neun‐
    Millimeter mit Hohlspitze, nehme ich an?»
    Reggie blätterte in seinem Notizheft zurück und las vor:
    «In der Beretta war Kaliber .22, lang für Büchsen, in der Glock neun Millimeter mit Hohlspitze.»
    Sara sagte: «Die hätte genug Kraft, einen Teil der Schä‐
    deldecke wegzureißen.» Sie verkniff sich die Bemerkung,
    dass ein Röntgenbild darüber leicht Aufschluss gegeben
    hätte.
    Hoss sagte: «Na schön.»
    Sara wartete ab, ob er noch etwas zu sagen hatte, doch
    als er schwieg, zog sie das Laken weg. Sie hätte sich denken
    können, dass sie die Leiche auf den Rücken legen würden,
    und jetzt versuchte sie, ihren Ärger darüber hinunterzu‐
    schlucken. Die Leichen flecken waren zum Hinterkopf ge‐
    wandert, was bedeutete, dass in das weiche Gewebe der
    Kopfhaut Blut gesickert sein konnte. Solche Flecken waren
    nur schwer von Kontusionen zu unterscheiden, die vor
    dem Tod entstanden waren. Solange es keine Hautauf‐
    schürfungen gab, war es fast unmöglich, zwischen Lei‐
    chenflecken und Prellungen zu unterscheiden.
    Die Totenstarre hatte eingesetzt. Swans Haar klebte mit
    Blut in seinem Gesicht. Dennoch konnte Sara sehen, dass
    Mund und Augen leicht geöffnet waren. Auf der Seite, mit
    der er auf dem Teppich gelegen hatte, war ein bläulicher Schatten. Sein Brustkorb war schmal, die Rippen standen

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    hervor. Der Hosenbund saß so locker, als hätte er erst
    kürzlich Gewicht verloren. Man hatte es versäumt, ihm
    Plastiktüten über die Hände zu stülpen, um mögliche Spu‐
    ren wie Schießpulver oder Fasern, die er umklammert hielt,
    zu konservieren – und klammern war das richtige Wort:
    Swans rechte Hand war zur Faust geballt.
    Reggie sagte: «Ich hab versucht, ihm die Hand zu öff‐
    nen, aber es ging nicht.»
    «Schon gut», sagte Sara. Falls sie tatsächlich Reste von
    Schießpulver an Swans Hand fand, ließ sich nicht zurück‐
    verfolgen, ob sie von Reggie oder von dem Toten stammten.
    «Sind die Fotos vom Tatort schon fertig?»
    Er schüttelte den Kopf. «Aber hier sind meine Zeich‐
    nungen», sagte er und zog einen zusammengefalteten Um‐
    schlag aus der Tasche. Darin waren drei Blätter mit groben
    Grundrissen des Tatorts. Er entschuldigte sich gleich: «Ich wollte nochmal drübergehen.»
    «Schon gut», sagte Sara wieder und breitete die Zettel
    auf dem Tisch neben dem Waschbecken aus. Das Bett und
    der Schrank standen einander als zwei schiefe Rechtecke
    gegenüber. Luke Swan war ein Strichmännchen mit zwei
    Kreuzchen als Augen. Seine rechte Hand lag unter seinem
    Körper, die andere war seitlich ausgestreckt. Sie fragte: «Er
    hat auf seiner linken Hand gelegen?»
    Reggie nickte. «Ja. Er hatte die Hand an der Brust, als wir ihn umgedreht haben. »
    White ergänzte: «Die Totenstarre war ziemlich heftig.»
    «Um wie viel Uhr war das?»
    «Ungefähr zwei Stunden nach dem Unfall», sagte er
    und Sara versuchte, nicht weiter darüber nachzudenken,
    dass der Mann, der die Obduktion normalerweise vorge‐
    nommen hätte, jetzt schon von einem Unfall sprach.

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    «War es schwierig, ihn zu bewegen?»
    «Wir mussten die Totenstarre brechen, um ihn auf die
    Bahre zu kriegen.»
    «Arme und Beine?», fragte sie und er nickte. Die Toten‐
    starre begann im Kiefer und breitete sich dann in die Ex-tremitäten aus. Es dauerte normalerweise sechs bis zwölf
    Stunden, bis sie vollständig war.
    Zum ersten Mal meldete sich Jeffrey zu Wort: «Viel‐
    leicht war er in Panik. Oder er war high.»
    «Wir machen ein Drogen screening.»
    Hoss mischte sich mit gezwungener Höflichkeit ein.
    «Könnt ihr das für Leute übersetzen, die nicht auf dem
    College waren?»
    Sara erklärte: «Die Totenstarre kann durch körperliche
    Belastung vor Todeseintritt beschleunigt werden. Durch
    den Abbau von Adenosin‐Tri‐Phosphat, kurz ATP, wer‐
    den die Muskeln schneller steif.»
    Der Sheriff nickte, doch sie sah ihm an, dass ihm die Information auch nicht weiterhalf.
    Sara wollte gerade zu einer Erklärung ansetzen, doch
    beim Anblick von Hoss' ganzer Haltung überlegte sie es
    sich anders. Er war ihrem Großvater Earnshow so ähnlich,
    dass sie sich bei einem Lächeln ertappte.
    Reggie sagte: «Das hier sind die Patronenhülsen.»
    Er zeigte auf einen Strich in der Nähe der Tür. Zwei
    weitere waren neben dem Opfer eingetragen. «Die .22er
    lagen hier und hier. Die Neun‐Millimeter war bei der
    Tür.»
    Jeffrey räusperte sich.

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