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Schattenblume

Schattenblume

Titel: Schattenblume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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Sie sah sich um und entdeckte in der Ecke eine rollbare Lampe. «Könnten Sie
    mir wohl die Lampe herüberschieben, damit ich es mir ge‐
    nauer ansehen kann?»
    Er kam ihrer Bitte nach, wickelte die Schnur ab und ließ Paul den Stecker in die Steckdose stecken. Die Birne flackerte ein paar Mal, doch sie warf genügend Licht auf die leere Handfläche.
    Mit dem spitzen Ende einer Pinzette kratzte sie tro‐
    ckene Haut und ein paar größere, nicht identifizierbare
    Schuppen unter seinen Fingernägeln hervor. Sie füllte die
    Proben in ein Reagenzglas, zusammen mit einem Stück
    Fingernagel, und sah zu, wie Paul das Reagenzglas mit
    grünem Klebeband versiegelte.

    203
    Während Reggie Fotos machte, hielt Sara ein Lineal an
    die Narben und die anderen Auffälligkeiten, die sie ent‐
    deckt hatte. Als sie beim Kopf waren, entfernte Sara mit den Fingern Knochensplitter und Gehirnmasse aus den
    Haaren, bevor sie Swans Gesicht freilegte und die Ein‐
    trittswunde auf der linken Seite seines Kopfes betrach‐
    tete.
    Jeffrey hatte die ganze Zeit geschwiegen, doch jetzt
    sagte er: «Schmauchspuren.» Er hatte so leise gesprochen,
    dass Sara nicht sicher war, ob sie es sich nur einbildete.
    Aber er hatte Recht. Winzige rötlich braune Punkte
    fanden sich rund um die Eintrittswunde, dort, wo das Pulver die Haut versengt hatte. Sara hielt das Lineal, während
    Reggie fotografierte. Sie kämmte mit den Fingern durch
    Swans Haar und untersuchte die Haut rund um die Wunde
    auf weitere Anhaltspunkte. Schließlich sagte sie: «Ich sehe hier keinen Ruß.»
    «Kann das Blut den Ruß abgewaschen haben?», fragte
    Jeffrey, der sich neben sie gestellt hatte.
    «Nicht von der Seite», sagte sie mit einem Anflug von
    Erleichterung. Der Kopf war übel zugerichtet, doch im
    Licht der Lampe konnte sie alles genau sehen. Schmauch‐
    spuren ohne Rußpartikel ließen mit großer Wahrschein‐
    lichkeit darauf schließen, dass die Kugel aus mittlerer Entfernung abgeschossen worden war. Das bedeutete, dass
    Robert mindestens einen halben Meter entfernt gestanden
    hatte, als er auf Swan geschossen hatte.
    Jeffrey fragte: «Womit war die Glock nochmal ge‐
    laden?»
    Paul blätterte wieder in seinem Notizheft zurück. «Fe‐
    deral, 115 Grain.»
    «Kugelpulver.» Jeffrey atmete hörbar auf. Zu Hoss

    204
    sagte er: «Kugelpulver brennt schneller. Das heißt, Robert hat mindestens einen knappen Meter entfernt gestanden.»
    «Das passt zu seiner Aussage von heute Morgen»,
    befand Hoss. «Er hatte eine Ladehemmung, als er ab‐
    drückte.»
    «Eine Ladehemmung?», wiederholte Sara. Das bedeu‐
    tete, dass es zwischen dem Zeitpunkt, als er abdrückte, und
    dem Schuss eine Verzögerung geben hatte.
    «Und was hat er gesagt, wie lange es gedauert hat?»,
    fragte Jeffrey.
    «Er war sich nicht sicher», antwortete Hoss. «Vielleicht
    eine halbe Sekunde.»
    Als Sara Jeffreys Gesicht sah, fragte sie sich, ob ihr die Skepsis ebenfalls anzusehen war. Wie oder wann eine
    Waffe abgefeuert wurde, war wissenschaftlich nicht nach‐
    zuweisen. Kugeln trugen keinen Stempel mit der Uhrzeit
    des Abfeuerns, und ob eine Waffe tatsächlich Ladehem‐
    mung gehabt hatte oder nicht, ließ sich unmöglich genau
    feststellen.
    Sara wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Toten zu
    und fuhr durch sein Haar auf der Suche nach Knochenres‐
    ten, die sie auf einem Tablett sammelte. Sie versuchte sich
    zu konzentrieren, doch sie wurde den Gedanken nicht los,
    wie schnell man ihr für jede Frage, die sich aus der Sach-lage ergab, Entschuldigungen auftischte. Im umgekehrten
    Fall, wenn Robert hier vor ihr auf dem Tisch gelegen hätte,
    dann hätten alle anwesenden Männer Luke Swan gejagt
    wie einen tollwütigen Hund, davon war sie überzeugt.
    Als könnte er ihre Gedanken lesen, fragte Jeffrey Hoss:
    «Wo ist Robert jetzt?»
    «Er ist bei Jessie und ihrer Mutter», antwortete er.
    «Warum?»

    205
    «Ich wollte mal nach ihm sehen. Hören, wie es ihm so
    geht.»
    «Es geht ihm gut», sagte Hoss und sah auf die Uhr. «Das Ganze hier dauert länger, als ich dachte. Ich hab gleich einen Termin.»
    Jeffrey fragte: «Soll Paul unsere Aussagen aufneh‐
    men?»
    Hoss schien die Aussagen völlig vergessen zu haben,
    doch dann sagte er: «Nein, das mache ich schon. Treffen
    wir uns so gegen drei auf dem Revier.»
    Jeffrey wandte ein: «Wir hatten vor, so bald wie möglich
    zu fahren.»
    «Kein Problem.» Hoss klopfte Jeffrey kräftig auf die
    Schulter. «Dann schaut ihr einfach auf

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