Schattenblume
und ich, wir kennen uns schon ewig. Stimmt’s nicht, Sara?»
Sara starrte den jungen Mann an, sie wirkte verunsichert. «Seit wann?»
Smith grinste sie schief an. «Eine ganze Weile, was meinst du?»
Sara versuchte ihre Unsicherheit zu verbergen, doch Jeffrey war klar, dass sie keine Ahnung hatte, wer der Junge war. «Sagen Sie es mir.»
Sie starrten sich eine Ewigkeit an. Dann schnalzte Smith anzüglich mit der Zunge, und Sara sah weg. Hätte er gekonnt, wäre Jeffrey auf den Mann losgegangen und hätte ihn windelweich geschlagen.
Auch das entging Smith nicht. Er fragte Jeffrey: «Willst du mir Probleme machen, Matt?»
Jeffrey stand so kerzengerade da, wie es ihm mit gefesselten Beinen möglich war. Er warf dem Mann einen hasserfüllten Blick zu. Smith starrte genauso hasserfüllt zurück.
Brad brach den Bann. «Behalten Sie mich», schlug er vor.
Ohne das Gesicht von Jeffrey abzuwenden, ließ Smith die Augen zu Brad wandern.
Brad sagte: «Lassen Sie sie gehen und behalten Sie mich.»
Smith lachte über den Vorschlag, und auch sein Partner am Eingang fiel in sein Gelächter ein.
«Dann behalten Sie mich», sagte Sara, und beide hörten zu lachen auf.
Jeffrey flüsterte: «Nein.»
Doch sie achtete nicht darauf, sondern sprach weiter auf Smith ein. «Sie haben Jeffrey umgebracht.» Fast versagte ihr die Stimme, als sie seinen Namen aussprach, doch den Rest brachte sie klar genug heraus. «Sie wollen Brad und Matt doch gar nicht. Und erst recht keine alte Frau und drei zehnjährige Kinder. Lassen Sie sie gehen. Lassen Sie alle gehen, und behalten Sie mich.»
KAPITEL FÜNF
Sonntag
D ie Fahrt nach Sylacauga war ein größerer Umweg, als Jeffrey angekündigt hatte. Er sagte, sie würden bei seiner Mutter übernachten, doch so wie sie vorankamen, schätzte Sara, dass sie nicht vor dem Morgengrauen ankamen. Kurz vor Talladega kam der Verkehr wegen eines Rennens auf der berühmten Nascar-Rennstrecke immer wieder ins Stocken, doch für Jeffrey stellte das offenbar mehr eine Herausforderung als ein Hindernis dar. Beim Ein- und Ausfädeln zwischen Personenwagen, Trucks und Wohnmobilen ließ er so wenig Abstand, dass Sara sich anschnallte. Sie war erleichtert, als er endlich vom Highway abfuhr, doch nur so lange, bis ihr auffiel, dass das letzte Fahrzeug, das diese Straße befahren hatte, vermutlich ein Pferdewagen gewesen war.
Je tiefer sie nach Alabama kamen, desto entspannter, schien es, wurde Jeffrey, und die langen Gesprächspausen waren jetzt angenehm, nicht mehr peinlich. Er fand einen Sender mit gutem Southern Rock, und so fuhren sie zur Musik von Lynyrd Skynyrd und den Allman Brothers durch das waldreiche Hinterland. Unterwegs wies Jeffrey auf verschiedene Sehenswürdigkeiten hin, zum Beispiel diedrei kürzlich stillgelegten Baumwollspinnereien oder die Reifenfabrik, die seit einem Chemieunfall geschlossen war. Auch das Helen Keller Center für Blinde war ein imposantes Bauwerk, wenngleich Sara bei hundertfünfzig Stundenkilometern nicht allzu viele Einzelheiten erkennen konnte.
Jeffrey tätschelte ihr das Knie, als sie das x-te Bezirksgefängnis passierten. Lächelnd verkündete er: «Bald sind wir da», aber etwas an seinem Ausdruck verriet, dass er inzwischen doch bereute, sie hierher gebracht zu haben.
Fast hätten sie die Abzweigung auf eine noch weniger befahrene Straße verpasst, und Sara wollte schon fragen, ob sie sich verfahren hätten, als sich in der Ferne ein großes Straßenschild abzeichnete. Laut las sie vor: «Syla cauga , Geburtsort von Jim Nabors.»
«Wir sind ein stolzes Völkchen», erklärte Jeffrey und schaltete in der Kurve einen Gang runter. «Ah», sagte er liebevoll. «Noch eine Sehenswürdigkeit.» Er zeigte auf einen heruntergekommenen Laden.
Yonders Blossom
.
Das Schild war ausgeblichen, doch der stattliche Name, dessen sich der Laden rühmte, war noch zu lesen. Verschiedene Objekte, die man vor einem typischen Laden auf dem Land erwartete, waren strategisch im Vorgarten verteilt, angefangen von einem Kühlergrill, aus dem Farn wuchs, bis zu mehreren alte Reifen, die weiß gestrichen und zu Blumenkübeln umfunktioniert worden waren. An einer Seite des Häuschens stand ein mannshoher Coca-Cola-Kühlschrank.
Jeffrey erklärte: «Hinter dem Eisschrank habe ich meine Unschuld verloren.»
«Im Ernst?»
«Ja», sagte er mit einem schiefen Grinsen. «An meinem zwölften Geburtstag.»
Sara versuchte, nicht schockiert zu wirken. «Wie alt war sie?»
Er lachte
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