Schattenbruch
Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Immer wieder blickte er gereizt zu dem einstigen Kaiser hinüber, der mit hängenden Schultern neben ihm stand. Akendor hatte den Blick auf seine Schuhspitzen gerichtet; es schien ihn nicht zu kümmern, wo er war. Sein Leibwächter Garalac hatte eine Hand auf Akendors Schulter gelegt, eine beschützende Geste. Doch Garalac selbst wirkte abwesend; er brütete vor sich hin und mied Binhipars Blicke.
Nun wandte sich der Fürst an den Troublinier. »Er wird doch standhalten, oder nicht?« Binhipars Stimme hatte einen gefährlichen Unterton. »Antworte, Troublinier!«
Aus Garalacs Blick sprach Verachtung. »Ihr könnt ihn nicht dazu zwingen, auf den Thron zurückzukehren. Durch Eure Mitschuld hat Akendor den Verstand verloren. Habt Mitleid mit ihm, erspart ihm dieses unwürdige Schauspiel, um Eures alten Freundes Torsunt willen.«
Binhipar knirschte mit den Zähnen. »Es geht hier nicht um Mitleid, sondern um Sithars Schicksal. Ich habe alles getan, um Akendor zu beschützen. Nun muß er zumindest eine Weile lang Stärke zeigen.« Er baute sich vor dem Kaiser auf. »Hört Ihr mich, Akendor? Habt Ihr die Worte behalten, die wir gemeinsam einstudiert haben?« Akendor Thayrin blickte auf. Die blonden Haare hingen ihm ins Gesicht, die Augen waren von dunklen Schatten umgeben, und seine Mundwinkel zuckten. »Die Worte … natürlich, Binhipar! Ihr habt sie lange genug mit mir geübt, Silbe für Silbe, und ich habe mich gut geschlagen, nicht wahr? Ich weiß, Ihr haltet mich für irr … aber ich sehe klar, sehe meine Schuld und die Eure, sehe Sithars Zukunft und den Untergang.« Er nickte traurig. »Ich wünschte, Ihr hättet mich damals ziehen lassen, als der Mann aus den Schatten nach mir rief. Aber Ihr wolltet mir diesen Frieden nicht gönnen … nun soll ich also wieder Kaiser werden. Ich bin bereit dazu … ich will den Herrscher spielen, wie in alten Zeiten. Doch denkt daran: der Silberne Kreis ist zersprungen, und von den letzten Nachfahren der Gründer wird am Ende nur einer bestehen …«
»Wollt Ihr mir etwa drohen, Akendor!« herrschte der Fürst ihn an. »Soll ich die Hunde holen? Wollt Ihr Sie aus der Nähe sehen, ihre gierigen Augen, ihre scharfen Zähne?«
Der Kaiser riß die Hände empor, und ihm entfuhr ein gequälter Laut. »Nein … ich höre sie die ganze Zeit, das Jaulen und Knurren … laßt sie fort, Binhipar, wenn Ihr ein Herz habt. Ich werde tun, was Ihr verlangt.« Er packte den Fürsten am Arm. »Versprecht mir nur eines: laßt meinen Sohn am Leben. Uliman kann doch nichts dafür, daß die Zauberer ihn benutzten, so wie Ihr mich benutzt, so wie jeder von uns benutzt wird von höheren Mächten. Denn das sind wir doch alle: Sklaven der Macht.«
»Für Uliman kann es keine Gnade geben«, antwortete Binhipar mit Nachdruck. »Euer Sohn ist eine Gefahr für uns alle. Und nun tretet vor. Erweist dem Kaiserreich einmal im Leben einen Dienst.«
Akendor nickte, von jähem Eifer erfüllt. Er reckte die Schultern, drängte sich an den Klippenrittern vorbei und hob die Hände. Vom Wehrgang über dem Tor erklangen Warnrufe. Die Gardisten spannten ihre Bogen, zielten auf den Ankömmling.
»Ihr wißt nicht, wer ich bin«, rief Akendor mit kräftiger Stimme, »und ihr erkennt mich nicht … aber das solltet ihr, Bürger von Vara!« Er deutete wehmütig auf das Tor. »Vara, du schöne Stadt … bin ich tatsächlich so lange fortgewesen? Ich erinnere mich gut daran, als ich den Thron bestieg, vor fünfzehn Jahren, als mir die Fürsten im Palast die Krone aufsetzten. So viele Hoffnungen ruhten auf mir, und ich habe alle enttäuscht … Ja, ich weiß es wohl. Es war ein Fehler, der Stadt den Rücken zu kehren und mit dem Thronrat nach Thax überzusiedeln … es hat dem Kaiserreich kein Glück gebracht. Denn der Silberne Kreis muß in Vara sein, sonst geschieht ein Unglück - so sagen es die Legenden.«
Aufgeregtes Tuscheln unter den Bogenschützen. Binhipar runzelte die Stirn. Akendor hielt sich nicht an den vereinbarten Text, doch er ließ ihn vorerst weiterreden.
»Ihr wißt nicht, wer ich bin, und erkennt mich nicht wieder … aber vielleicht ahnt ihr es, tief in euren Herzen, daß nur ein Nachfahre der Gründer eure Stadt retten kann, vor den Goldei, die von Norden her anrücken und bald vor diesem Tor stehen werden. Doch die Erben der Gründer, so mußte ich erfahren, sind alle tot. Der junge Kaiser soll daran die Schuld tragen. Nun, wenn dem so ist, dann ist es meine
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