Schattenbrut (German Edition)
erinnere mich nur noch, wie da plötzlich ein kleines Mädchen auf einem Roller war und ich auswich. Ich dachte, ich würde fallen. Doch ich fiel nicht. Ich fuhr bis nach Hause, ging in mein Zimmer und legte mich auf mein Bett. Dort erst fiel mir ein, dass ich mein Tagebuch vergessen hatte.«
Es war unnatürlich kalt in Katjas Wohnung. Schützend schlang Billy die Arme um ihren Oberkörper und rieb sich die Arme.
»Und weiter?«, fragte sie.
»Nichts weiter. Ich lag da und fragte mich, wie lange die Polizei brauchen würde, um mich abzuholen. Ich dachte nur, dass ich mit meiner Mutter reden sollte. Sie vorwarnen. Doch ich konnte es nicht. Ich blieb stumm und wartete.«
»Du bist sogar am nächsten Tag in die Schule gekommen«, erinnerte sich Billy deutlich. Sie hatte Tamy nach dem Bild gefragt, und die hatte ihr versichert, dass sie es hatte entwickeln lassen. Nachdem die Klassenlehrerin von Franks Tod erzählte, wurde das Bild nie wieder erwähnt.
»Es war, als wäre ich in Watte gepackt, abgeschirmt vom Rest der Welt. Ich ging in die Schule, weil ich das immer tat, und selbst als man uns von Franks Selbstmord erzählte, verlor ich keinen Gedanken daran, dass ich ungeschoren davon kommen könnte. Ich wartete, tagelang. Jahrelang. Immer lauerte ich auf den Moment, dass alles herauskommen würde. Und dann lag letzte Woche plötzlich ein Auszug aus meinem Tagebuch bei mir im Briefkasten.«
»Du hast das Buch wirklich im Haus liegenlassen?«
»Direkt neben Franks Leiche.«
Ein Schauer rann durch Billys Körper. »Und warum hast du Katja bedroht?«
»Ich war heute bei Frau Himmel. Ich wollte sie endlich nach dem Tagebuch fragen. Und dafür musste ich ihr die Wahrheit sagen.«
»Du hast ihr erzählt, dass du Frank getötet hast?« Billy wunderte sich, wie ruhig sie war. So, als hätte Tamys plötzliche Ruhe sie angesteckt. Sie hätte wütend sein sollen, wütend über all die Jahre voller Selbstvorwürfe. Aber sie fühlte sich befreit.
»Laut dem, was wir damals gehört haben, war sie diejenige, die ihren toten Sohn im Wohnzimmer gefunden hat. Sie müsste also auch das Tagebuch gesehen haben.«
»Was hat sie gesagt?«, drängelte Billy, deren Beine vom langen Stehen schmerzten. Dennoch konnte sie unmöglich auch nur einen Schritt machen, bevor sie nicht alles gehört hatte, was Tamy zu sagen hatte.
»Sie hat angefangen, zu weinen, und ich habe mich schrecklich geschämt. Sie nahm meine Hand und hörte nicht mehr auf zu weinen. Irgendwann hat sie sich beruhigt. Und sie hat sich bei mir für die Wahrheit bedankt. Sie hat sich wirklich bedankt.« Tamys Augen schimmerten.
»Ich wollte sie nicht noch mehr belasten, doch ich musste über die Morde sprechen. Ich habe ihr von meinem Tagebuch erzählt und versuchte, ihr klarzumachen, dass das Buch unmittelbar mit den Verbrechen zusammenhängt. Doch Frau Himmel wusste nichts von einem Buch. Sie war völlig sicher, dass es nicht bei Frank lag, als sie ihn gefunden hat. Doch dann habe ich ihr das Buch gezeigt. Und zum ersten Mal sah es so aus, als würde sie lebendig werden. Sie hat ihre Augen aufgerissen und es in die Hand genommen. Und dann hat sie mir gesagt, dass sie dieses Buch schon einmal gesehen hat. Bei Katja auf dem Schreibtisch.« Tamys Worte kamen immer schneller über ihre Lippen. »Ich wollte Katja nicht bedrohen. Ich nahm die Spielzeugpistole nur für den Notfall mit. Ich habe sie immer in meinem Auto. Ich hatte Angst, dass sie mich auch umbringt. Aber ich wollte nur mit ihr sprechen. Sie muss damals das Tagebuch eingesteckt haben. Und sie muss all die Jahre Bescheid gewusst haben. Ich bin zu ihr gefahren, um sie zu fragen, was sie von mir will. Was ich tun soll, damit sie dich und alle anderen in Ruhe lässt.« Tränen rannen über Tamys Gesicht, doch sie schien es nicht zu merken. »Als sie mir die Tür geöffnet hat, war sie gerade am Telefonieren. Sie sagte dann ins Telefon >Ich komme gleich< und ließ mich herein. Sie wusste bereits alles. Sie hatte mit ihrer Mutter telefoniert und die hatte ihr alles erzählt. Ich habe gesagt, dass ich nur mit ihr sprechen will. Sie sah aus, als würde sie jeden Moment auf mich losgehen. Ihr Telefon klingelte wieder, aber sie hat mich nur angestarrt. Und plötzlich schrie sie, dass ich ein Mörder sei und ob ich wisse, was ich ihr und ihrer Familie angetan habe. Sie war so unglaublich wütend. Ich hatte Angst. Und ich habe meine Waffe hervorgeholt. Aber sie hat mich weiter beschimpft. Und plötzlich bist du
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