Schattendämonen 3 - Nybbas Blut - Benkau, J: Schattendämonen 3 - Nybbas Blut
körperung all meiner Bedürfnisse. Ein Beschützer. Ein guter Geist. Ein … ein Freund.
Ich war einsam“, wiederholte Mary. „So sehr ich später bedauerte, was ich tat – damals gab es für mich keine Möglichkeit, es nicht zu tun.“
„Ich verstehe“, sagte Joana aus tiefstem Herzen. Sie kannte das Gefühl nur zu gut. Die nächste Frage musste sie trotzdem stellen. So gern sie auch ausgewi chen wäre, sie musste es wissen. „Was war mit … wie hast du …?“ Sie fuhr sich mit feuchtkalten Händen übers Gesicht. „Wie hast du das Problem mit dem Opfer gelöst?“
Mary stand schwerfällig auf, trat zum Fenster und sah durch vom Kleister fleckige Scheiben hinaus. Sie beobachtete die Menschen, die draußen über die Geh wege liefen. Ein Mann mit zwei Hunden, die ihn hin ter sich herzogen. Eine Mutter mit einem Baby in einer Trage und zwei streitenden Kleinkinder n in einem Geschwisterkinderwagen. Eine uralte Frau, die sich über ihrem Gehstock zusammenkrümmte und trotz blauem Himmel eine durchsichtige Regenhaube über dem Kopf trug.
„Es schien einfach“, sagte Mary nach schier endlo sem Schweigen. „Nur ein Hahn war nötig. Es war nicht schwer. Ich wusste, dass der Körper noch zap pelt, wenn man den Kopf abschneidet. Ich sagte mir, dass jeden Tag Hähne gegen den Hunger sterben. Mutter hatte manchmal welche im Hof geschlachtet. Nun musste halt einer gegen die Einsamkeit sterben.“ Mary weinte ohne einen Ton, und Joana merkte es, obwohl ihre Mutter von ihr abgewandt stand.
„Aber ein Hahn war nicht alles“, brachte Joana her vor. Lüg nicht mehr, Mama. Es ist okay. Ich selbst würde jedes Opfer bringen.
„Ich wusste es nicht. Ich wusste die Bedeutung der Worte nicht, die ich sprach. Es gab Worte, die konnte mir niemand übersetzen.“
Worte waren unwichtig. Vielleicht waren die betref fenden Worte keiner Sprache entnommen, die mehr als nur ein einziger Mensch kannte.
„Der Dschinn kam“, fuhr Mutter fort, „und nahm. Es war zu spät. Die junge Frau aus dem Nachbar haus … sie war einfach nicht mehr da. Nur ihr Kör per blieb. Und in dem lebte nun mein Dschinn.“
„Sinae.“
Mary wandte sich ihr zu. Ein seltsamer Ausdruck gemischt aus Wehmut, Kummer und schönen Erin nerungen nahm von ihrem Gesicht Besitz. „Weißt du, was dieser Name bedeutet? Er bedeutet: gute Seele. Und Joana, ach, das ist sie auch. Sie ist gutherzig und sanft und war fassungslos und betroffen, zu erfahren, dass ein Mensch für sie sein Leben geben musste. Sie hat es nicht verstanden, ebenso wenig wie ich. Joana, glaubst du mir, wenn ich dir schwöre, dass sie niemals böse war? In keiner Weise?“
Sie musste nicht lange überlegen. Nicholas, Elias, Demjan … Dämonen waren so unterschiedlicher Art, dass es abwegig war, auszuschließen, es würde auch herzensgute unter ihnen geben. „Ich glaube dir. Wo von lebte Sinae?“
„Von Erinnerungen. Und selbst in dieser Hinsicht war sie eine gute Seele, denn sie nahm nur schlechte, auch wenn danach sie es war, die sich schlecht fühlte. Und für jede Erinnerung gab sie ein wenig Zukunft zurück.“
Joana runzelte die Stirn. Wie sollte sie sich das vor stellen?
Mary erklärte es mit einem Hauch von Stolz in den Augen: „Ja, sie konnte tatsächlich die Zukunft erah nen. Nicht alles, nichts, was noch entschieden werden würde. Aber sie wusste, dass gewisse Dinge passieren würden , und konnte Rat geben.“
„Wie man es verhindert?“
„Nein, ich sagte doch, sie sah nur Unausweichliches. Sie konnte den Menschen helfen, damit umzugehen. Und das tat sie jedes Mal, wenn sie Erinnerungen nahm. Ist das kein guter Handel, Joana? Eine schlech te Erinnerung gegen einen Rat für die Zukunft?“
Auf den ersten Blick war das ein guter Deal, doch Joana wusste aus dieser Welt bereits zu viel, um zu be zweifeln, dass da ein Haken war. Schlechte Erinnerun gen waren nichts Wertloses, sie bewahrten Menschen davor, die gleichen Fehler erneut zu begehen. Doch um dies auszudiskutieren, war der Zeitpunkt denkbar schlecht. Mamas Hände zitterten, so sehr nahm das alles sie mit, und Joana war unschlüssig, was sie tun sollte. Sie waren sich fremd geworden, vielleicht zu fremd für eine Umarmung. Das Ärgste stand noch be vor. Sie hatte zwar eine vage Vorstellung, was mit Sinae geschehen sein könnte und was die Geschichte mit ihrem Vater zu tun hatte, aber nun brauchte sie Gewissheit.
„Was ist passiert?“, fragte sie knapp.
Mary seufzte. „Hm. Es mag heute kaum vorstellbar
Weitere Kostenlose Bücher