Schattenelf - 1 - Der dunkle Sohn
erklärte er. In der Tat galt Abt Je’howith, der viele Jahre bis zu seinem Tod beim Ausbruch der Rotflecken-Pest Abt von St. Honce gewesen war, bei vielen im Orden von St. Honce als der größte Kenner der heiligen Steine, den die Abtei jemals hervorgebracht hatte.
»Ihr fürchtet Euch vor ihr«, stellte Constance tadelnd fest.
Abt Ohwan bestritt es gar nicht. »Sie ist berühmt für ihr Geschick mit den Steinen, Lady Pemblebury«, erwiderte er. »Wenn ich mich ihr auf derart zudringliche Weise nähere, würde sie mich vermutlich überwältigen und meinen Geist in meine Körperhülle zurückjagen. Und die Reaktionen, die sie daraufhin erzwingen würde …«
Constances verächtliches Schnauben ließ ihn schlagartig verstummen.
»Könnt Ihr sie nicht aufsuchen und so tun, als wärt Ihr ihr freundschaftlich zugetan?«, fragte sie. »Bietet Eure Hilfe bei einer Untersuchung an, damit ihr beide erfahrt, ob sie im Stande ist, Danube Kinder zu gebären.«
»Ich könnte nichts tun, was Jilseponie nicht auch alleine kann«, wehrte Ohwan ab. »Ich fürchte, mit diesem Angebot mache ich mich bestenfalls lächerlich.«
»Aber das wisst Ihr doch nicht!«, schrie Constance ihn an.
Der Mann verstummte vollends, steckte seine Hände in die Ärmel seines weiten braunen Gewandes und senkte den Blick.
»Ihr sagtet selbst, sie sei unfruchtbar«, wiederholte Constance, sich an eine letzte Hoffnung klammernd.
»So lauten die Gerüchte«, erwiderte Ohwan.
Wutschnaubend entließ Constance den Mann mit einem Wink; er war mehr als froh, ihrem Wunsch nachzukommen, und ließ die Frau mit ihren düsteren und verwirrenden Gedanken allein in ihrem Gemach zurück. In der Tat existierten Gerüchte, denen zufolge Jilseponie bei ihrem Kampf mit Markwart auf dem Feld vor Palmaris schwer verwundet worden war und ihr Kind sowie ihre Fähigkeit zu gebären verloren hatte.
Aber konnte sich Constance bezüglich der Zukunft ihrer Kinder allein auf ein Gerücht verlassen?
Sie ging quer durch das Zimmer zu einem kleinen Schrank und öffnete die Tür. Auf den Regalböden standen Dutzende kleiner Glasbehälter mit Gewürzen und Parfüms. Hektisch wühlte Constance zwischen ihnen herum, bis sie die besagten Kräuter endlich gefunden hatte, die sie damals, vor langer Zeit, so oft verwendet hatte. Sie hielt die beiden Glasbehälter ins Licht und befreite sie vom Staub. Parsentac und Wühlkraut, die beiden Kräuter, die man Kurtisanen zur Verhütung verabreichte. Gab es vielleicht eine Möglichkeit, die beiden heimlich in Jilseponies Essen zu mischen?
Sie runzelte die Stirn. Die geeignete Dosierung der Kräuter herauszufinden, konnte schwierig und schmerzhaft sein, denn ein Zuviel konnte äußerst schmerzhafte Krämpfe und sogar den Tod zur Folge haben.
Eine Möglichkeit, die Constance in diesem Augenblick gar nicht so unliebsam erschien; ihr Kopf begann sich zu drehen, als sie grübelte und Pläne schmiedete und sich überlegte, wessen Gefälligkeiten sie einfordern konnte, damit die Kräuter dorthin gelangten, wo sie benötigt wurden. Ja, es würde einige Mühe kosten, aber es war machbar.
Seltsamerweise fühlte sich Constance kaum erleichtert, als ihr Plan Gestalt annahm und sie schließlich überzeugt war, Jilseponies Unfruchtbarkeit beschleunigen zu können.
Denn andere, niederschmetterndere Gefühle setzten ihrem Verstand und ihrem Herzen zu. Die Hochzeit ging ihr nicht aus dem Kopf, der Blick in Danubes Gesicht, als er diesem Weibstück angetraut wurde. Immer wieder musste sie an Danubes Gesichtsausdruck denken, als er Jilseponie vom Gartenfest abgeholt und zu seinem – zu ihrem! – Schlafgemach begleitet hatte.
Selbst jetzt, in diesem Augenblick, während sie hier saß und sich quälte, lag er bei ihr, in ihren Armen und … Bilder voller Leidenschaft, von Danube und Jilseponie, eng umschlungen beim Liebesspiel, schossen Constance durch den Kopf.
Vergeblich versuchte sich Constance auf Merwick und Torrence und die Bedrohung ihres Erbes zu konzentrieren, aber so oft sie sich auch einzureden versuchte, dass deren Schicksal absoluten Vorrang hatte, es wollte ihr nicht gelingen, sich von diesen scheußlichen Bildern zu befreien.
Sie vernahm das Splittern des Glasbehälters, dann spürte sie einen stechenden, brennenden Schmerz in ihrer rechten Hand.
Constance starrte auf die klaffende Wunde in ihrer Handfläche, die umso schmerzhafter war, als einige der Kräuter hineingeraten waren. Aber verglichen mit der sehr viel tieferen Wunde, die
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