Schattenelf - 1 - Der dunkle Sohn
diese Kraft nicht beherrschen und gleichzeitig unseren Bedürfnissen unterordnen können, wird er etwas Schlimmeres werden als bloß reine Zeitverschwendung. Er wird zu einer Gefahr.«
»Er ist doch bloß ein Mensch«, wandte To’el ein.
Dassleronds goldene Augen verengten sich. »Im Kampf verfügt er über das gleiche meisterhafte Können wie sein Vater. Mindestens«, erwiderte sie. »Und wie seine Mutter weiß er mit den magischen Steinen umzugehen; vielleicht sogar besser als sie. Viel wichtiger aber ist, er verfügt über einen viel zu ausgeprägten Willen, als dass man ihn kontrollieren oder auf etwas anderes lenken könnte. Er weiß über uns Bescheid, und trotzdem ist er, anders als alle anderen, nicht bereit, die Welt mit unseren Augen zu sehen. Im Übrigen bezweifle ich, dass er die Toel’alfar jemals wirklich als seine Familie betrachten wird.«
»Und doch teilen wir auch weiterhin unsere Geheimnisse mit ihm«, sagte To’el.
»Ich gehe davon aus, dass das Orakel ihn beruhigen wird«, erklärte Dasslerond. »Vielleicht wird unser junger Aydrian etwas umgänglicher, wenn ihn der Geist seines Vaters heimsucht und ihm den Weg weist.«
To’el war mit der Erklärung mehr als zufrieden. Sie nickte und machte eine elegante Verbeugung, dann überließ sie Lady Dasslerond ihren Gedanken – Gedanken, die offenkundig um den jungen Aydrian kreisten.
Und tatsächlich, Lady Dasslerond ließ ihre letzte Begegnung mit dem jungen Menschen noch einmal vor ihrem geistigen Auge vorüberziehen und verglich seine Starrköpfigkeit mit dem Umstand, dass ihre Späher berichteten, er befinde sich noch unten in der Erdhöhle, wo er sich noch immer mit dem Orakel befasste oder es zumindest versuchte. Lady Dasslerond war von dem jungen Hüter nicht übermäßig angetan – überhaupt mochte sie Menschen nicht besonders, den jungen Aydrian allerdings fand sie noch weniger liebenswert als irgendeinen der anderen, mit denen sie es bislang zu tun gehabt hatte. Was aber, wie Dasslerond wusste, daran lag, dass der junge Aydrian weniger formbar war und sie diese Selbstständigkeit und diesen Stolz gegen ihn würde kehren müssen. Denn eigentlich war Aydrian von Anfang an nur aus einem einzigen Grund hier: um den Makel des geflügelten Dämons zu tilgen.
Noch immer war Lady Dasslerond nicht völlig klar, was dafür erforderlich sein mochte – würde Aydrian sich in die finstere Unterwelt begeben müssen, um mit Bestesbulzibar zu kämpfen? –, sie vermutete aber, dass das Opfer dieses Hüters gewiss nicht geringer ausfallen würde als das seines Vaters.
Lady Dasslerond gab sich nicht der Illusion hin, der junge Aydrian würde sein Leben für sie oder für Caer’alfar opfern. Nein, sie würde sich auch weiterhin auf dünnem Eis bewegen müssen, wie sie es To’el gegenüber formuliert hatte. Sie würde, gewissermaßen als Ausgleich für die Kontrolle, die sie über ihn ausübte, diesem jungen Mann erlauben müssen, auf vielen Gebieten immer stärker zu werden.
Und sie würde ihren eigenen Unmut zügeln müssen, und zwar immer wieder, denn ihre Geduld mit diesem aufsässigen jungen Burschen schwand von Tag zu Tag.
8. Intrigen zum Wohl der Welt
Sie betrachtete die aus hunderten von Rosen und Nelken bestehenden Blumenbouquets mit einer Mischung aus ehrfürchtiger Scheu, Respekt und Traurigkeit. Noch nie hatte Jilseponie so viele Blumen gesehen, und noch nie hatte sie einen so lieblichen, geradezu überwältigenden Duft erlebt. Obwohl eine so theatralische Geste für König Danube keine übermäßig große Leistung war – nicht mehr als ein Fingerschnippen und ein knapper Befehl an einen seiner zahllosen Bediensteten –, hatte sich seit ihrer Zeit mit Elbryan niemand mehr so viel Mühe gegeben, ihr eine Freude zu machen.
Sie durfte sich also durchaus geschmeichelt fühlen. Es war ihr bei weitem schönster Sommer mit Danube gewesen. Ihre Gespräche waren unbeschwert und freundschaftlich gewesen, in aller Offenheit hatten sie über das Königreich diskutiert und darüber, wie jeder von ihnen das Los der einfachen Leute verbessern konnte. Der König war geistreich und charmant, stets zu einem Scherz oder einem Lächeln aufgelegt, und während Jilseponie diese Art der Gesellschaft aufrichtig zu schätzen wusste, so war ihr doch bewusst, dass sie die Quelle seiner Heiterkeit war.
Eben daher rührte auch ihr Unbehagen. Und jetzt das – sie war aufgewacht und hatte ihr Zimmer sowie die Hälfte der oberen Etage von Chasewind Manor
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