Schattenelf - 1 - Der dunkle Sohn
untermalte.
»Heute ist ein prächtiger Tag für eine Segeltour«, wiederholte König Danube ganz beiläufig seine Frage. »Seid Ihr sicher, dass Ihr mich nicht begleiten könnt?«
Jilseponie hätte die Einladung nur zu gerne angenommen – nichts lieber als das! –, und das verriet König Danube auch unmissverständlich ihr Gesichtsausdruck. »Ausgeschlossen«, erklärte sie jedoch. »Ich habe nämlich versprochen, den Nachmittag mit Abt Braumin zu verbringen, der zurzeit die Weihung der Kapelle von Avelyn vorbereitet.«
»Euer alter Freund, Bruder Avelyn«, sagte König Danube. »Wann wird sich die Kirche endlich dazu durchringen, diesen Mann in gebührender Form heilig zu sprechen? Hat die Zeit der Pest sie etwa nicht überzeugt? Hat sie nicht jeden Mann und jede Frau im ganzen Königreich überzeugt? Auf der ganzen Welt?«
Es tat Jilseponie gut, den König des Bärenreiches in so hohen Tönen von ihrem verstorbenen Freund sprechen zu hören, zumal sie die Aufrichtigkeit hinter Danubes Worten spürte. Er sagte diese Dinge nicht nur, um Jilseponie eine Freude zu machen.
»Ich könnte möglicherweise mit dem derzeitigen Abt von St. Honce reden«, bot Danube an. »Ich bezweifle allerdings, dass Ohwans Stimme großes Gewicht innerhalb der Kirche hat – jedenfalls nicht, wenn man in der Kirche seit den Tagen der Herrschaft Markwarts klüger geworden ist.« Er lachte über seinen harmlosen Scherz, den Jilseponie aber, die Abt Ohwan nicht kannte, nicht verstand.
»Wie man mir berichtet, ist der Vorgang der Heiligsprechung bereits recht weit fortgeschritten«, erwiderte sie. »Selbst wer in der Kirche den Lehren Avelyns nicht günstig gesinnt ist, kann die Wunder am Berg Aida wohl kaum bestreiten, zumindest nicht das zweite. Niemand, der dem Bund beigetreten ist und vom Blut Avelyns gekostet hat, hat sich anschließend mit der Rotflecken-Pest infiziert, und wer bereits krank dorthin gekommen war, wurde ohne Ausnahme geheilt.«
»Man möchte meinen, wenn überhaupt jemals ein Mensch den Titel eines Heiligen verdient hat, dann ganz sicher Avelyn Desbris«, erwiderte Danube lächelnd. Als er daraufhin in den Himmel blickte und sah, dass die Sonne ihren Zenit überschritten hatte, erlosch sein Lächeln, und er wurde ernst. »Ihr müsst jetzt fort, nach St. Precious«, sagte er. »Sehen wir uns heute Abend vielleicht wieder?«
Jilseponie dachte einen Augenblick über die Einladung nach. Ihre erste Reaktion war, abzulehnen – sie hatte bereits zu viel Zeit mit König Danube verbracht, zumal ihr Verhältnis im Begriff war, sich rasch auf ein innigeres und damit unbehaglicheres Niveau zuzubewegen –, doch zu ihrer eigenen Überraschung hörte sie sich einwilligen.
Danubes Lächeln strahlte mit der Sonne um die Wette. »Diesmal werdet Ihr nicht vor mir in Chasewind Manor sein!«, rief er, riss sein Pferd herum und donnerte davon.
Jilseponie zog ernsthaft in Erwägung, sich heute von Danube schlagen zu lassen; hatte er nicht gerade die obere Etage von Chasewind Manor für sie mit Blumen überhäuft? Die Überlegung war jedoch von flüchtiger Natur und längst verflogen, als sie mit den Fersen Greystones Flanken berührte.
Sie war bereits abgestiegen, als König Danube sich neben der kleinen Koppel hinter den Stallungen zu ihr gesellte.
Sein Lächeln war keinen Deut weniger strahlend.
»Wird er in diesem Sommer um Eure Hand anhalten?«, wollte Braumin wissen. Jilseponie sah ihm fest in die Augen und fragte sich, wieso er sie an diesem Tag so in die Enge trieb. »Alles deutet darauf hin, dass König Danube die Absicht hat, Jilseponie noch vor dem Jahreswechsel zu seiner Königin zu machen.«
»Dann ist Jilseponie offenbar die Einzige, die davon noch nichts weiß«, erwiderte sie ziemlich ungehalten.
»Nun, selbstverständlich muss er sich Eurer Antwort sicher sein, bevor er zu fragen wagt«, meinte Braumin. »Es würde sich für den König des Bärenreiches nicht ziemen, wenn man ihn zurückweisen würde.«
Jilseponie zuckte mit den Achseln. Natürlich lag Braumin mit seinen Schlussfolgerungen richtig, und auch die Gerüchte, so glaubte sie zumindest, entsprachen der Wahrheit. Tatsächlich deutete alles darauf hin, dass König Danube im Begriff war, sich in ein Abenteuer zu stürzen, das vor dem Altar von St. Honce enden würde.
»Und wie wird Eure Antwort lauten?«, fragte Abt Braumin sie geradeheraus.
»Haben wir das nicht schon ausgiebig besprochen?«, entgegnete Jilseponie und warf ihm einen zornigen
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