Schattenelf - 1 - Der dunkle Sohn
landeten die beiden in einem leidenschaftlichen Knäuel auf der Erde.
Mit der Liebe einer Frau hatte Marcalo De’Unnero noch keine Bekanntschaft gemacht, zum einen wegen seines Ranges unter den Ordensbrüdern von St. Mere-Abelle, aber auch, und das war weitaus entscheidender, weil es ihm immer wie ein Eingeständnis der eigenen Schwäche und eine Absage an jede Disziplin erschienen war, solch niederen Gefühlen nachzugeben. Jetzt aber ließ er es geschehen, und erst im Augenblick der Erfüllung und völligen Hingabe wurde ihm das Ausmaß der Gefahr bewusst.
Denn in diesem Augenblick der Ekstase regte sich die Bestie in ihm, und die primitiven Triebe des Tigers drängten mit aller Macht an die Oberfläche.
Marcalo De’Unnero entfernte sich mit einem Satz von Sadye und stieß sie zurück, als sie ihm folgen wollte. »Ich habe Euch gewarnt«, konnte er noch keuchen, bevor die Veränderung zum Katzentier ihm die Kehle zuschnürte.
Und dann zwang er sich zurückzuweichen, wütend, geradezu außer sich, weil er wusste, dass er im Begriff war, auch diese Frau in Stücke zu reißen und sich damit wieder in die völlige Einsamkeit zurückzukatapultieren. Er wurde zum Wertiger und konnte nichts dagegen tun. Wenn er tatsächlich in den Zustand dieser primitiven Bestie zurückfiel, würde Sadye sterben wie all die anderen vor ihr …
Völlig vereinnahmt von der qualvollen Prozedur der Verwandlung, hörte Marcalo De’Unnero nicht einmal mehr seine eigenen Schreie, mit denen er sich heftig protestierend wehrte.
Aber die Musik hörte er.
Er schlug die Augen auf und sah Sadye vor sich, die, mit übereinander geschlagenen Beinen und nackt, ihre Laute in der Hand, sachte über die Saiten strich und leise dazu sang. Ihre Worte konnte er nicht verstehen, aber das nahm ihnen nichts von ihrer Sanftheit.
Einen flüchtigen Augenblick lang war er wieder Marcalo De’Unnero, der Mann und nicht die Bestie, aber zu seinem Leidwesen musste er feststellen, dass selbst Sadyes Musik den Wertiger nicht in die Schranken weisen konnte.
Und dann schwand sein Bewusstsein, denn die Katze hatte die Oberhand gewonnen …
Als Marcalo De’Unnero eine Weile später, nachdem er sich an einem glücklosen Reh gütlich getan hatte, frierend und nackt zum Lagerplatz zurückkehrte, erwartete er, dort die schauerlichen Überreste seines jüngsten menschlichen Opfers vorzufinden.
Stattdessen hockte Sadye am Feuer und begrüßte ihn mit einem Lächeln auf den Lippen.
Wäre in diesem Augenblick ein leichter Wind aufgekommen, er hätte den völlig verdutzten Marcalo De’Unnero glatt umgeweht. »Wie ist das …«, stammelte er.
»Setzt Euch zu mir«, forderte ihn Sadye mit neckisch-sehnsüchtigem Lächeln auf und griff nach einer Decke, offenbar um sie ihm um die Schultern zu legen. »Ich würde sagen, Ihr seid mir noch ein wenig Unterhaltung schuldig, und anschließend könnten wir dann noch einmal die Bestie in Euch wecken.«
»Ihr müsstet eigentlich tot sein«, brachte De’Unnero hervor, bevor er sich schließlich neben dieser bemerkenswerten Frau niederließ.
»Wie ich bereits sagte, auch ich verfüge über ein gewisses Maß an Magie«, erwiderte sie und deutete dabei auf ihre juwelenbesetzte Laute. »Vielleicht kann ich die wilde Bestie sogar mit meiner Musik zähmen, wer weiß?«
De’Unnero starrte sie mit einer Mischung aus Staunen und Bewunderung an. Eben noch hatte sie einem entsetzlichen Tod ins Auge gesehen, und doch war ihrer Stimme nicht das geringste Zittern anzumerken.
»Ihr seid eine weitaus angenehmere Gesellschaft als diese Bande, mit der ich zuletzt zu tun hatte«, sagte Sadye lachend. »Und außerdem der beste Liebhaber, dem ich je begegnet bin.« Sie lachte lüstern. »Eins kann ich Euch versichern, ich weiß, wovon ich rede!«
De’Unnero starrte sie einfach nur an.
»Und längst nicht so gefährlich wie diese Bande«, fuhr Sadye fort.
Bei der Bemerkung machte der ehemalige Mönch große Augen.
»Aber ja, das stimmt!«, verkündete Sadye. »Sicher, Ihr seid von dieser inneren Macht besessen – trotzdem habt Ihr Euch darüber hinaus ein gewisses Maß an Ehrgefühl und Selbstbeherrschung bewahrt.«
»Ihr könnt unmöglich sicher sein, dass ich Euch nicht in Stücke reißen werde«, erwiderte De’Unnero.
Sadye rückte ganz nah an ihn heran. »Das macht es gerade so spannend«, sagte sie.
Und er glaubte ihr, jedes einzelne Wort; dann liebten sie sich erneut, und diesmal ließ sich der Tiger nicht blicken.
Am nächsten
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