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Schattenelf - 1 - Der dunkle Sohn

Schattenelf - 1 - Der dunkle Sohn

Titel: Schattenelf - 1 - Der dunkle Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R.A. Salvatore
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als Hüter müsse ich eine gerade vorbildhafte Perfektion erreichen.
    Ich hätte mich geschmeichelt fühlen sollen. Im Nachhinein überrascht es mich, dass ich, obwohl damals gerade mal zwölf Jahre alt, die entsetzliche Wahrheit dieser Bemerkung als das erkannte, was sie tatsächlich war. Ich erwartete, Belli’mar Juraviel, mein engster Freund unter den Touel’alfar – was zugegebenermaßen nicht viel heißen will –, würde vor einem solchen Vorschlag zurückschrecken und To’el sagen, er werde umgehend Lady Dasslerond aufsuchen, um mit ihr zu sprechen.
    Er sagte: Tweken’di marra-tie viel vien Ple’caeralfar. Selbst nach all den Jahren klingen mir seine Worte immer noch in den Ohren, deutlicher als an jenem Tag vor langer Zeit. »Tweken’di marra-tie viel vien Ple’caeralfar.« Das ist ein altes Elfensprichwort, von denen die Touel’alfar einen nahezu unbegrenzten Vorrat zu besitzen scheinen und das keine wörtliche Entsprechung in der unter Menschen gebräuchlichen Sprache hat, das aber in etwa so viel bedeutet wie »nach den Sternen greifen«. Für die Elfen spielt das Sprichwort auf ihre Freude bei ihrem abendlichen Tanz an, wenn sie hüpfend und sich reckend versuchen, in das Reich der Sterne vorzudringen, wenn sie ihre irdische Gestalt ablegen und in den Himmel aufsteigen. In einem weniger wörtlichen Sinn spielt das Sprichwort auf die hohen Erwartungen an, die man auf jemanden setzt.
    Als Belli’mar Juraviel diese Worte in Bezug auf mich aussprach, meinte er damit, er erwarte von mir, ich würde den Anforderungen, die Lady Dasslerond an mich stellte, voll und ganz genügen. Es hatte vermutlich ein Kompliment sein sollen, aber als sich die an diese Unterredung anschließenden Monate der Prüfungen hinzogen, wurden Belli’mars Worte zu einer Bürde, die schwer auf mir lastete. Normalerweise waren die Touel’alfar sehr darauf bedacht, mich nicht durch zu geringe Erwartungen einzuschränken; schränkten sie mich aber vielleicht dadurch ein, dass sie ihre Erwartungen zu hoch ansetzten? Wenn sie von mir Vollkommenheit des Auftretens, des Körpers, des Verstandes und, am wichtigsten, des Geistes verlangten, mussten diese Erwartungen nicht zwangsläufig in ein Gefühl abgrundtiefen Versagens umschlagen, wenn ich das gewünschte Niveau nicht erreichte? Und, ebenso wichtig, hatten sich diese Erwartungen unauslöschbar in die Köpfe der Ältesten eingegraben? Hätte Lady Dasslerond mir vielleicht mehr Entscheidungsfreiheit gelassen, wenn sie nicht völlig von dem zwanghaften Wunsch besessen gewesen wäre, ich müsse zum Inbegriff eines Hüters werden, zum Symbol der Vollkommenheit in Menschengestalt, wie die Elfen sie definierten? Bei unserem Abschied sagte sie mir nicht etwa, ich könne niemals der beste aller Hüter werden, nein, sie sagte, ich könne überhaupt kein Hüter werden. Ihre Enttäuschung ließ sie in einer Welt kategorischer Urteile Zuflucht nehmen, in der gerade das Beste gut genug war.
    Der Umstand, dass ich sie auf höchstem Niveau enttäuschte, lässt sich somit als Zerstörung all ihrer Hoffnungen auf allen Ebenen deuten. Ich konnte nicht zum Inbegriff des Hüters werden, und deshalb konnte ich in ihren Augen gar kein Hüter werden.
    Wie ich sie und ihr ganzes hochnäsiges Volk hasse!
    Wie sehr wünsche ich mir – mehr als alles andere auf der Welt –, ihr zu zeigen, wer Aydrian wirklich ist – und nicht nur ein Hüter zu werden, was ich ihrer Meinung nach unmöglich kann, sondern auch noch der allerbeste, der das Zeug hat, zur Legende zu werden. Sie sollen von Aydrian singen in Oden, die ehrfürchtiger sind als die an Terranen Dinoniel gerichteten, mit ehrfürchtigeren Worten als jene, die zurzeit allein meinem Vater, Elbryan, dem Nachtvogel, vorbehalten sind. Ich denke, wenn ich diesen Gipfel erklommen habe, werde ich Lady Dasslerond noch einmal aufsuchen und ihnen allen die Wahrheit vor Augen führen. Ich werde ihr das Eingeständnis abringen, dass sie sich in mir getäuscht hat, dass ich nicht nur würdig bin, sondern weit mehr als das!
    Das sind die Erkenntnisse, die mir die lenkende Kraft des Orakels vor Augen geführt hat.
    Das ist mein Traum, jene Kraft in meinem Innern, die mich von einem Tag zum nächsten rettet.
    AYDRIAN WYNDON

12. Zuhause
    Er hockte, perfekt versteckt, zwischen den Schatten der Bäume und ebenso lautlos wie die Schatten um ihn herum auf dem kleinen Hügel und sah ihnen bei der Arbeit zu. Zwei Frauen, zwei Menschenfrauen, sowie ein junger Bursche etwa in

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