Schattenelf - 3 - Der Herr der Flammen
und keiner – auch nicht die wenigen anwesenden Behreneser hatte Anstalten gemacht, ihn direkt zu attackieren. Er hielt es trotzdem nicht für klug, die Nacht in der Siedlung zu verbringen, also begab er sich in den nahen Wald, wo er ein bequemes Plätzchen in einem Baum fand, und sah zu, wie der Mond träge über den sternenübersäten Himmel zog.
Am nächsten Morgen war er bereits lange vor Anbruch der Dämmerung wieder auf den Beinen und wanderte langsam Richtung Norden. Er war sich immer noch nicht ganz darüber im Klaren, wieso ihn seine Vision in die weite Welt hinausgelockt hatte, aber die fortschreitende Anpassung der To-gai-ru an die Kultur ihrer Eroberer hatte ihn neugierig gemacht. Vielleicht war das die Erfahrung, für die er ausersehen war, vielleicht sollte er mehr über dieses Aufeinanderprallen der Kulturen lernen, das bereits jetzt im Begriff war, den Völkern südlich des gewaltigen Gebirges ein völlig neues Gesicht zu geben. Vielleicht würde er hier, wo die althergebrachten Traditionen täglich in Frage gestellt wurden, mehr über die wirkliche Welt und seine wahre Existenz erfahren.
Das war es, was der Ordensbruder sich auf seiner Wanderschaft in den Norden immer wieder sagte. Dass sich schon bald ganz andere, tiefer gehende Gefühle in seinem Innern regen würden, auf den Gedanken wäre er niemals gekommen.
Viele Tage war er unterwegs und genoss die Eindrücke der Landschaft, wo der Herbst allmählich in Winter überging. Um seine Sicherheit war er nicht übermäßig besorgt; er war ein Jhesta Tu und hatte gelernt, selbst unter den härtesten Witterungsbedingungen zu überleben.
Eines Nachmittags, ungefähr zur selben Zeit, da er den feinen Rauch eines nahen Dorfes in den Himmel steigen sah, sah er die ersten Anzeichen eines nahenden Unwetters heraufziehen, das vermutlich zum ersten Mal Schnee statt Regen bringen würde.
Er erklomm den Gipfel einer Anhöhe und blickte hinunter auf eine Ansammlung von Lehm- und Holzhütten, hinter denen soeben die Sonne unterging. Ihm fiel eine Reihe angebundener Pferde auf – nicht die gescheckten Ponys der To-gai-ru, sondern größere, kastanienbraune und rötlich graue Tiere. Als er eine Bewegung zwischen den Pferden bemerkte, erkannte Pagonel das weiße Gewand eines männlichen Behrenesers, und bei genauerem Hinsehen sah er auch die gekreuzten schwarzen Riemen vor der Brust des Mannes, die ihn als behrenesischen Soldaten auswiesen.
»Das könnte interessant werden«, murmelte er und machte sich auf den Weg hinunter zum Dorf. Die durchdringenden Blicke, mit denen der Mystiker in seinem verräterischen Überwurf und der Schärpe der Jhesta Tu empfangen wurde, unterschieden sich durch nichts von denen, die er im vorigen Dorf gespürt hatte. Mit einer Ausnahme – der behrenesische Soldat, bemerkte Pagonel, riss sichtlich entsetzt die Augen auf, ergriff Hals über Kopf die Flucht und fiel sogar einmal auf die Knie, als er beim Versuch, sich im Schankraum in Sicherheit zu bringen, ins Stolpern geriet.
Als Pagonel ihm kurz darauf nach drinnen folgte, sah er sich einem Dutzend Soldaten gegenüber, ausnahmslos in besagten weißen Gewändern mit gekreuzten Riemen, die ihn mit stechendem Blick musterten. Er nickte ihnen zum Gruß kurz zu und begab sich dann hinüber zu dem langen Tisch, der als Tresen diente.
Das Geräusch von Schritten hinter seinem Rücken sagte ihm, dass einer der Soldaten aus dem Schankraum gerannt war, zweifellos, um seine Vorgesetzten zu warnen.
»Ihr kommt wohl von weit her«, sagte der Schankwirt, ein breitschultriger Ru mit schwarzem Stoppelbart, der bis zu den Augen zu reichen schien.
»Von so weit auch wieder nicht«, erwiderte Pagonel. »Eine Woche Fußmarsch, nicht mehr, vorausgesetzt, man schlägt ein flottes Tempo an.«
»Die behrenesischen Soldaten, diese Mistkerle, werden jedenfalls denken, dass Ihr Euch ziemlich weit vorgewagt habt«, sagte der Wirt leise.
Kaum hatte er geendet, hörte Pagonel abermals Schritte. Er drehte sich um und sah den Soldaten zurückkommen und ihm einen Blick über die Schulter eines älteren, mürrisch dreinblickenden Mannes zuwerfen, der ebenfalls das Gewand behrenesischer Soldaten trug, allerdings mit goldenen anstelle der schwarzen Riemen vor seiner breiten, muskulösen Brust.
Er musterte Pagonel durchdringend; der war bemüht, nicht ebenso zurückzublicken, sondern prostete ihm stattdessen höflich nickend mit seinem Wasserglas zu. Anschließend drehte der Ordensbruder sich wieder mit
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