Schattenelf - 3 - Der Herr der Flammen
Habgier und Arroganz gehen scheinbar Hand in Hand.
Ich verabscheue sie, daher werde ich meinem Volk die Freiheit bringen oder bei dem Versuch ums Leben kommen.
Aber ich darf keinem Irrtum erliegen. Meine Abscheu gilt nicht den behrenesischen Untertanen, den mittellosen, vom Sturm yatolscher Raserei mitgerissenen Bauern.
Ich muss mir immer wieder aufs Neue in Erinnerung rufen, meinem Ziel auf jedem Schritt meines Weges treu zu bleiben. In jeder Schlacht, bei jeder Eroberung muss ich mir das immer wieder sagen, denn sonst zerreißt es mir das Herz, und mein Vorhaben würde sich in das verwandeln, was ich am meisten verachte.
Brynn Dharielle
10. Verwandte und Gleichgesinnte
Nahezu zwei Wochen irrte Brynn durch die Hügel und Täler am Südrand der Berge des Großen Gürtels, bevor sie einen Pass fand, der sie zu den grasbewachsenen Steppen hinunterführen würde. Dennoch war es kein beschwerlicher Weg, denn überall war reichlich Nahrung und kaltes, frisches Wasser zu finden, und weder Monster noch wilde Tiere gefährdeten ihr Vorankommen.
Der einzige Kampf, den sie in diesen Tagen und vor allem in den Nächten ausfocht, war der, der pausenlos in ihrem Herzen wütete. Sie hatte Belli’mar Juraviel verloren, ihren engsten und liebsten Freund der vergangenen zehn Jahre. Sie hatte fliehen können, er nicht; sie hatte Reißaus genommen, während der Drache ihn verbrannte, verspeiste oder einfach auf dem felsigen Boden zertrampelte.
Immerhin, die junge Hüterin wusste, dass sie keine Wahl gehabt hatte, dass Juraviel längst nicht mehr gelebt hatte, als sie tief unter dem Nest des Drachen wieder zu sich gekommen war. Gefühl und Verstand sagten ihr, dass ihr gegenwärtiger Weg der richtige war, der Weg, den Lady Dasslerond und Juraviel von ihr erwarteten. Es konnte nicht ihr Lebenszweck sein, ihren toten Freund zu rächen oder zu seinem Volk zurückzukehren, um es von seinem Tod zu unterrichten.
Ganz im Gegenteil, ihr Lebenszweck lag jetzt vor ihr, in Gestalt der endlosen Weite der grasbewachsenen Steppen To-gais.
Deshalb verfolgte sie ihren Weg auch mit gemischten Gefühlen, hin- und hergerissen zwischen sorgenschwerem Herzen und freudiger Erwartung, während rings um sie herum die Eindrücke und Gerüche ihres geliebten To-gai immer mannigfaltiger wurden.
Eines herrlichen Morgens erwachte die junge Hüterin durch ein rumpelndes Donnern, das jedoch nicht vom Himmel, sondern aus dem Boden unter ihr zu kommen schien. Neugierig geworden, krabbelte sie zum Rand des Felsplateaus, auf dem sie kampiert hatte, und schaute hinunter auf eine grasbewachsene, von felsigen Bergen umgebene Aue. Tief unter ihr galoppierte eine Herde braunweiß und schwarzweiß gescheckter Ponys aufgeregt über eine Weide.
Sie schaute sich um, konnte aber nichts erkennen, was auf die Anwesenheit von Raubtieren oder Menschen hingedeutet hätte. Als sie sich die Herde daraufhin genauer ansah, wurde ihr klar, dass die Stuten und Fohlen vor allem deshalb wild durcheinander liefen, weil sie einigen höchst aufgebrachten Hengsten nicht in die Quere kommen wollten.
Brynn nickte verständnisvoll. Vermutlich machte einer der jüngeren Hengste dem Leittier gerade seinen Rang streitig. Sie stützte sich auf die Ellbogen und betrachtete das Schauspiel, das sich vor ihren Augen entspann.
Es dauerte nicht lange, und sie erkannte, dass drei Hengste an der Keilerei beteiligt waren. Ein großes, altes männliches Tier, bereits von zahlreichen Bissen und Tritten gezeichnet, jagte abwechselnd zwei jüngeren Tieren hinterher und versuchte sie sich vom Leib zu halten. Es war das größte der drei und offenkundig der Leithengst. Eher braun als weiß, wies sein mächtiger Körper nur wenige Flecken auf, genau wie der zweite Junghengst, der sein Hauptherausforderer zu sein schien.
Aber es war vor allem das dritte Tier, das Brynns Aufmerksamkeit erregte. Sie hielt es für das jüngste der drei, zumal dieser Hengst mehr damit beschäftigt war, den anderen beiden aus dem Weg zu gehen, als dem Leithengst tatsächlich die Stirn zu bieten. Seine Fesseln waren weiß, seine Zeichnung dunkelbraun mit einem Rand in einer helleren Schattierung. Seine ebenfalls weiße Mähne hatte eine schwarze Spitze, und im Gegensatz zu den meisten anderen Tieren in der Herde besaß er nicht ein blaues Auge, sondern deren zwei.
In Brynns Augen schien er eine kleinere Ausgabe von Diredusk zu sein.
Brynn biss sich besorgt auf die Unterlippe; hoffentlich würde der mächtige Hengst bei dieser
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