Schattenelf - 4 - Feuerzauber
Stufen hochzusteigen. Mehrmals blieb sie stehen, um dem Pony nachzuschauen, das sich hinkend fortschleppte, und spielte bereits mit dem Gedanken, zu ihm zu gehen, als die Rufe der ihr nachsetzenden Krieger erneut an ihr Ohr drangen. Schlagartig wurde sich Brynn ihrer Verantwortung gegenüber den Jhesta Tu bewusst und hastete unermüdlich, Stufe für Stufe, weiter die Treppe hinauf. Kurz darauf befiel sie eine ungeheure Mattigkeit, begleitet von einem brennenden Stechen in der Seite. Als sie sich an die betreffende Stelle fasste, war ihre Hand mit hellrotem Blut verschmiert.
Sie vertrieb den Schmerz mit einem wütenden Knurren, schüttelte energisch den Kopf und kletterte hastig weiter bergan, eine Stufe nach der anderen.
Schon bald verlor sie jedes Zeitgefühl. Obwohl sie die Verfolger hinter ihrem Rücken längst nicht mehr hörte, gönnte sie sich keine Pause, nicht einmal, um zu verschnaufen. Wenn sie sich hinsetzte, um sich auszuruhen, würde sie vermutlich nicht mehr die Kraft aufbringen, sich noch einmal aufzuraffen und weiterzulaufen. Bei jedem Schritt ächzend, setzte die junge Hüterin verbissen und hartnäckig ihren Weg fort, wobei sie die steilen Stufen manchmal sogar auf allen vieren hinaufkrabbelte.
Dann endlich, als sie schon glaubte, sich einfach hinlegen und sich der kühlen, alles einhüllenden Dunkelheit überlassen zu müssen, erreichte sie den Treppenabsatz unmittelbar neben der bogenförmigen Steinbrücke.
Mit letzter Kraft rief sie um Hilfe oder versuchte es zumindest, dann brach sie auf den Steinen zusammen.
Wenige Augenblicke später vernahm sie rings um sich Stimmen, dann spürte sie, wie sie von kräftigen Armen behutsam hochgehoben wurde.
Als die Welt aufhörte sich zu drehen, fand Brynn sich auf einer Pritsche im Hauptgebäude des Klosters wieder. Sie schlug die Augen auf und sah Pagonel sowie einige andere Jhesta Tu auf sie herabblicken.
»Chezhou-Lei-Krieger«, stieß sie nach Atem ringend hervor. »Jede Menge. Unten im Tal.«
Pagonel legte besorgt die Stirn in Falten, ehe er sich langsam umdrehte, um den alten Meister der Jhesta Tu anzusehen, der neben ihm stand.
»Ich bin schuld, dass wir in einen blutigen Krieg hineingezogen werden«, sagte er zerknirscht.
»Die Chezhou-Lei hätten nicht herkommen sollen«, erwiderte Meister Cheyes.
»Sie sind gekommen, um ihren Toten zu rächen«, erklärte Pagonel. Cheyes nickte.
»Aber sie werden die Wolkenfeste nicht einnehmen«, versicherte ihm der alte Meister. »Nicht einmal, wenn sie sämtliche Streitkräfte Behrens auf ihrer Seite hätten. Keine Armee ist imstande, unsere Stellungen zu überrennen.«
Dem mochte Pagonel nicht widersprechen, aber trotzdem blieb sein Gesicht zerfurcht von Sorgenfalten. Er drehte sich wieder zu Brynn um. »Ruht Euch ein wenig aus«, sagte er. »Hier oben sind wir nicht in Gefahr.«
Die beiden Meister machten den anderen Jhesta Tu ein Zeichen, dann verließen sie Seite an Seite das Zimmer.
»Vermutlich werden sie uns offiziell zum Kampf herausfordern«, überlegte Meister Cheyes. »Sie zählen darauf, dass dir dein Stolz gar keine andere Wahl lässt, als zu ihnen hinunterzusteigen, damit sie ihren Gefallenen rächen können.«
Pagonel bedachte den Mann mit einem durchdringenden Blick; ihm war nicht entgangen, das seine Argumentation eine verborgene Kritik enthielt. Pagonel hatte recht unbesonnen das Kloster verlassen, und der gleiche Leichtsinn könnte ihn jetzt dazu verleiten, die Stufen hinunterzusteigen und den Chezhou-Lei ins offene Messer zu laufen.
»Sie werden an deine und unser aller Ehre appellieren«, erklärte Meister Cheyes. »Obwohl so etwas in einem sinnlosen Krieg gar nicht existiert. Es hat absolut nichts Ehrenhaftes, für nichts weiter als diese Art von Ehrgefühl zu sterben.«
»Ich werde den Verlockungen des Stolzes nicht erliegen«, versprach Pagonel. »Sollen sie doch den ganzen Sommer dort unten im Staub ausharren, oder von mir aus auch das ganze Jahr.«
Meister Cheyes nickte scheinbar zufrieden, ehe er sich entfernte und Pagonel seinen Gedanken überließ. Tatsächlich fühlte sich ein Teil von ihm genötigt, noch einmal darüber nachzudenken, ob es klug gewesen war, die Wolkenfeste zu verlassen und sich Ashwarawu anzuschließen. In gewisser Weise kam es ihm so vor, als hätte er den Orden mit seiner Einmischung in diesen fernen Krieg verraten. Aber wenn er an die wundervolle junge Frau dachte, die im Zimmer nebenan lag, überkamen den Mystiker noch weit zwiespältigere
Weitere Kostenlose Bücher