Schattenelf - 4 - Feuerzauber
beide unbedingt begreifen wollen. Es muss einen Grund geben, warum der Chezru-Häuptling euren Tod wollte, und den wüsste ich gerne.«
Merwan Ma wandte erneut den Blick ab.
»Denkt über meine Worte nach und seht der Wahrheit ins Gesicht, Merwan Ma«, fuhr Pagonel fort. »Irgendetwas ist hier aus Eurer Sicht ganz und gar verkehrt. Am Ende glaubt Ihr womöglich noch immer, dass Ihr dem Mann zur Treue verpflichtet seid, der Euren Tod wollte.«
Merwan Ma biss sich auf die Unterlippe und vermied es, Pagonels Blick zu erwidern, und Pagonel, der überzeugt war, dass er bei ihm zumindest Zweifel gesät hatte, ließ es dabei bewenden.
Für den Anfang war das gar nicht mal so schlecht.
Der Mystiker hielt die Hand schützend vor die Augen, blickte hinüber zur Stadt Pruda und wüsste, dass die Schlacht vorbei war. Dann wanderte sein Blick nach Süden, wo die beiden Elfen und der Drache warteten, und schlagartig wurde ihm klar, dass Pherol über das rasche und mühelose Ende nicht übermäßig erfreut sein würde, zumal es wieder ohne sein Zutun zustande gekommen war.
»Die Bibliothek von Pruda«, hörte Brynn einen ihrer Soldaten mit unverhohlener Ehrfurcht raunen. Sie selbst empfand im Grunde ganz ähnlich, denn dort, unmittelbar vor ihr, erhob sich dieses prachtvolle Gebäude, das angesehenste und geachtetste Wissenschafts- und Gelehrtenzentrum ganz Behrens, vielleicht sogar der ganzen Welt. In seinem Innern befanden sich endlose Regalreihen voller Schriftrollen und gebundener Bücher, alte wie neue, sowie einige der großartigsten Kunstwerke aus längst vergangenen Zeiten. Hier lagerten die religiösen Schriften Yatols sowie die gesamte Geschichte der behrenesischen Religion, dazu, als Abschriften aus der umfassenden Bibliothek des Klosters St. Mere-Abelle, eine ungeheure Vielzahl von Abhandlungen über die Abellikaner und deren Edelsteine.
Vor ihr lag das Wissen der gesamten zivilisierten Welt.
»Dieses Gebäude darf nicht zerstört werden«, gab sie, einer plötzlichen Eingebung folgend, als Befehl an die Umstehenden aus, denn auf einmal spürte Brynn, welch ungeheure Verantwortung auf ihren Schultern lastete. »Verbreitet überall, dass die Bibliothek auf keinen Fall geschändet werden darf.«
Die Order trug ihr skeptische Blicke ein, aber niemand wagte, nach dem Grund zu fragen. Offenbar war niemand gewillt, den Drachen von To-gai in Zweifel zu ziehen, der sie gerade ein weiteres Mal zu einem großen Sieg geführt hatte.
Fast niemand.
»Es handelt sich in Teilen um einen Tempel Yatols«, erklang hinter ihr eine vertraute Stimme. Sie drehte sich um und sah Pagonel auf sich zukommen.
»Es ist sehr viel mehr als das«, erwiderte Brynn.
Der Mystiker trat neben sie. »Wieso machst du eigentlich einen Unterschied zwischen diesem Gebäude und all den anderen, die auf deinen Befehl zerstört worden sind?«, fragte er.
Brynn sah ihn an und musste schmunzeln. Sie merkte, dass er sie auf die Probe stellen, ihr etwas erklären wollte. Er hatte ihr die Frage mit der ihm eigenen Distanziertheit gestellt, damit sie sich dieselbe Frage stellen und selbst eine Antwort darauf finden konnte.
»Wenn ich dieses Gebäude plündern ließe, würde ich mich vor den Historikern künftiger Jahrhunderte rechtfertigen müssen«, antwortete Brynn nach längerem Zögern. »Denn dann würden sie die to-gaische Rebellion als ein Zeitalter der Finsternis betrachten und nicht als die ruhmvolle Zeit, die sie in Wahrheit ist.«
Ihre Antwort brachte ein Lächeln auf Pagonels Gesicht. »Du überlegst, wie man dich in ferner Zukunft beurteilt, wenn du längst wieder zu Staub geworden bist?«
»Ich möchte lediglich verhindern, dass man die To-gai-ru als wilde Barbaren in Erinnerung behält.«
»Was wieder einmal beweist, wieso du eine große Anführerin bist, meine Liebe«, erwiderte der Mystiker. »Hier steht sehr viel mehr auf dem Spiel als die unmittelbare Befreiung deines Volkes. Was immer du tust, wird einen Ruf begründen, der den To-gai-ru noch in Jahrhunderten anhaften wird.«
»Dann sollen die künftigen Generationen wissen, dass wir als Feinde voller Leidenschaft und zu allem entschlossen sind«, erwiderte Brynn grimmig. »Aber zugleich anständige und ehrenhafte Krieger.«
»Und zu welcher dieser beiden Beschreibungen passt die Hinrichtung Yatol Gryshs?«
Die Frage saß; trotzdem sperrte sich Brynn gegen dieses lähmende Schuldgefühl. »Wir werden die behrenesischen Zivilisten mit aller gebotenen Fairness behandeln – so
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