Schattenelf - 6 - Der letzte Kampf
einmal in den Seelenstein und holte erneut tief Luft. Und irgendwie gelang es ihr, sich aufzusetzen.
Als ihr Blick auf den vor ihr liegenden Strand fiel, konnte sie kaum glauben, dass sie auf den unzähligen spitzen, muschelübersäten Felsen nicht zerschmettert worden war. Jede hereinkommende Welle brach sich an ihnen mit ungeheurer Wucht und warf eine hohe Gischt aus weißem Schaum in die Luft.
Elbryan musste bei ihr gewesen sein, begriff sie, eine andere Erklärung gab es nicht. Elbryans Geist hatte ihr im Augenblick ihrer größten Verzweiflung beigestanden, hatte geholfen, sie hierher zu bringen und ihre Konzentration selbst im halb bewussten Dämmerzustand so weit aufrechtzuerhalten, dass sie sich mit Hilfe des Seelensteins durch die Nacht retten konnte. Eine andere Erklärung gab es nicht. Pony war im wahrsten Sinne des Wortes von einem Schutzengel berührt worden.
Eigentlich hätte sie tot sein müssen – und das nun bereits zum zweiten Mal.
Schon der Gedanke hätte sie um ein Haar wieder in den Sand zurücksinken lassen. Doch dann erinnerte sie sich wieder daran, was Elbryans Geist ihr bei ihrem Besuch im Jenseits zugeflüstert hatte. Sie war hier noch nicht fertig und durfte sich ihren Verletzungen nicht ergeben. Irgendwie, sie begriff es selbst nicht recht, gelang es ihr, ins Meer hinauszuwaten und dabei die Funktion des Seelensteins so weit aufrechtzuerhalten, dass ihr Körper nicht unter der schweren Verletzung zusammenbrach; außerdem gelang es ihr tatsächlich, den Bernstein zu aktivieren.
Sie entfernte sich immer weiter vom Strand und lief hinaus aufs offene Meer. Kaum hatte sie die Hafenmole hinter sich gelassen, hörte sie hinter sich Rufe – drüben bei den Lagerhäusern, wie sie erkannte.
Pony sah sich nicht um. Sie entfernte sich einfach immer weiter von der Insel, in der Hoffnung, außer Reichweite der Bogenschützen und Katapulte zu gelangen, ehe das Geschrei bis an die Ohren der Artillerieschützen drang.
Obschon das Auf und Ab der Dünung unter ihren Füßen ihre Übelkeit noch verstärkte, setzte sie beharrlich einen Fuß vor den anderen und schleppte sich weiter. Mehr als einmal entglitt ihr die Konzentration auf den Bernstein, und sie versank vorübergehend in den kalten Fluten.
Zitternd, die Haut blau vor Kälte, ging Pony wegen ihrer rasch schwindenden Kräfte schon bald jedes Gespür dafür verloren, wo sie sich befand und was sie hier überhaupt tat. Aber da war noch jemand, der sie begleitete, der ihr den Weg wies und ihr half, die Steine nicht zu verlieren – fast so, als liefe Elbryan neben ihr her und hielte seine Hand schützend über ihre, damit sie sie nicht versehentlich öffnete.
Die Sonne brannte auf sie herab, ohne Wärme zu spenden.
Irgendwie schleppte sie sich weiter. Sie hatte die Augen geschlossen und keine Ahnung, wohin sie lief, aber sie weigerte sich hartnäckig aufzugeben.
So verloren war sie, so erschöpft und orientierungslos, dass sie weder die Segel der Saudi Jacintha noch die Rufe von Bradwarden und den anderen wahrnahm, als diese sie über das wogende, azurblaue Meer torkeln sahen. Kurz darauf ging das schnelle Schiff unmittelbar neben ihr längsseits, doch die verwundete Frau lief einfach weiter, ohne den entsetzten Rufen ihrer Freunde oben an der Reling, die der Anblick ihres zerschundenen Körpers zutiefst erschütterte, die geringste Beachtung zu schenken.
Pony fühlte, wie sie von der Meeresoberfläche gehoben wurde, und dieser Körperkontakt riss sie aus ihrem Dämmerzustand. Augenblicke später legte Andacanavar sie behutsam auf das Deck der Saudi Jacintha. Seine kräftigen Hände wanderten zu dem tief in ihrer Seite steckenden Pfeil.
Wie aus weiter Ferne hörte Pony ihn sagen: »Ich weiß beim besten Willen nicht, wie sie das überlebt hat.«
»Ach, meine Pony«, hörte sie Bradwarden murmeln. »Du armes, stures Ding. Weißt du denn nicht, wann es Zeit ist aufzugeben?«
Pony schlug die Augen auf und erblickte über sich sowohl den Hüter als auch den Zentaur, während Al’u’met unten neben ihren Füßen hockte und sich von einem Matrosen eine Decke reichen ließ, die er anschließend behutsam über sie breitete. Sie hätte dem Zentaur gerne geantwortet, besaß aber nicht die Kraft, laut zu sprechen.
»Könnt Ihr irgendetwas tun?«, fragte Kapitän Al’u’met. »So unternehmt doch endlich was!«
»Ich kann das verdammte Ding nicht herausziehen, ohne ihre halben Eingeweide mit herauszureißen!«, stöhnte der Hüter. »Und wenn
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