Schattenelf - 6 - Der letzte Kampf
Pony lachte nur. »Wohl eher nicht«, antwortete sie. »Ich bin eine Botin und habe die Insel erst heute Abend betreten.«
»Heute Abend?«, wiederholte einer der Männer ungläubig, ehe er und die anderen einen Blick auf den dunklen Ozean warfen, so als erwarteten sie jeden Moment eine sich der Insel nähernde Invasionsflotte. »Ich hab nicht gehört, dass heute Abend irgendwelche Schiffe Dancard angelaufen hätten!«
»Weil ich nicht an Bord eines Schiffes gekommen bin«, erwiderte Pony ruhig. »Im Übrigen bin ich auch kein Flittchen. Ich bin, wie gesagt, eine Botin mit einer Nachricht von Prinz Midalis aus Vanguard, dem rechtmäßigen König des Bärenreiches.«
In ihrer Verblüffung fingen die Männer an zu stammeln und zu stottern, ohne jedoch irgendetwas Verständliches hervorzubringen.
»Ist das wahr?«, fragte einer von ihnen schließlich.
»Eben jener Prinz Midalis, der den Angriff gegen die Flotte aus Ursal anführte, die nach Pireth Dancard gekommen war«, fuhr Pony fort. »Derselbe Prinz Midalis, der dafür gesorgt hat, dass die Soldaten hier festsitzen, indem er ihre Schiffe gekapert hat.«
»Pah, sie ist einer von Graf DePaunchs Spionen!«, rief ein anderer. »Er will uns bloß auf den Zahn fühlen und herausfinden, ob wir für Midalis sind. Sie soll schleunigst verschwinden, und dann lasst uns endlich einen zur Brust nehmen!«
»Genau, sie ist nie und nimmer eine Botin«, pflichtete ihm ein anderer Mann bei.
»Und wieso hat sie mich dann mitgebracht?«, fragte Midalis. Er trat aus dem Schatten und zeigte sich ihnen in aller Offenheit, die Hände in die Hüften gestemmt, sodass sein Gewand weit offen hing und man das Wappen des aufgerichteten Bären sah, sein Familienwappen und Zierde des einzigen Rüstungsteils, das er an diesem Abend angelegt hatte, ein halber Brustharnisch, der seine linke Brusthälfte bedeckte.
Und tatsächlich, die Dörfler schienen Midalis – der Dancard bereits bei mehreren Gelegenheiten aufgesucht hatte, zuletzt erst wenige Jahre zuvor bei seiner Rückreise von der Hochzeit zwischen Pony und seinem Bruder – wiederzuerkennen.
Den Männern entfuhr wie aus einem Mund ein überraschtes Keuchen.
»Wollt Ihr etwa diesen DePaunch umbringen und seine Schergen von unserer Insel vertreiben?«, traute sich einer einen Moment später zu fragen.
»Genau, diesen verdammten Schurken«, fügte ein anderer hinzu und spie voller Verachtung auf den Boden.
»Er hat Wachmann Presse an den Galgen gebracht, der Schuft«, sagte ein anderer.
»Wachmann Presse?«, fragte Pony, denn sie meinte sich an den Namen zu erinnern.
»Richtig, er war vor DePaunch unser Anführer hier«, antwortete er. »Ein guter Mann. Hatte schon etliche Jahre bei der Küstenwache auf dem Buckel.«
»Ihr kanntet ihn?«, fragte Prinz Midalis Pony.
»Ich kannte vor vielen Jahren auf Pireth Tulme einen Mann dieses Namens«, antwortete sie, ehe ihr Ton überaus kühl wurde und sie den Dorfbewohner fragte: »Wo hält sich dieser Graf DePaunch zurzeit auf?«
Die Gruppe wandte sich wie ein Mann zum Festungsturm um.
»Woran denkt Ihr, Jilseponie?«, raunte ihr der Prinz zu.
Sie antwortete nicht. Das war auch nicht nötig, denn was sie vorhatte, war offenkundig. »Lasst Euer Vertrauen in das Haus Ursal von niemandem erschüttern«, wandte sie sich an die Dörfler, ehe sie kehrtmachte, mit entschlossenen Schritten in die Dunkelheit eintauchte und auf den Turm zusteuerte.
»Mein Prinz?«, fragte einer der Männer, offenbar unschlüssig, wie er sich verhalten sollte. Man sah ihm nur deutlich an, dass er einigen Ärger erwartete.
»So geht schon und trinkt einen«, versuchte der Prinz sie zu beruhigen. »Man hat euch hier nicht vergessen, auch wenn es vielleicht noch eine Weile dauern wird, bis ich zu euch zurückkehren kann. Aber ich werde zurückkehren, vorausgesetzt, es gelingt mir, die Krone des Bärenreiches wieder in meinen Besitz zu bringen.« Dann entfernte er sich mit hastigen Schritten in die Nacht, denn Pony würde gewiss nicht auf ihn warten.
Er holte sie auf der Straße ein, die aus dem Ort Dancard herausführte. Sie hielt noch immer energisch auf den Turm zu. »Jilseponie«, sagte er und packte sie am Arm. »Wir haben Andacanavar und Bradwarden versprochen, jeden Ärger zu vermeiden.«
»Es wird keinen Ärger geben«, erwiderte sie. »Aber ich habe ein Wörtchen mit diesem Grafen DePaunch zu reden.« Sie blickte Midalis fest in die Augen. »Mit dem Mann, der die Ermordung Wachmann Constantine Pressos
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