Schattenelf - 6 - Der letzte Kampf
Bou-raiy. »Wir werden sie gemeinsam sprechen, und zwar laut, damit alle sie hören können, wenn König Aydrian kommt und an unsere Pforte klopft.«
Bou-raiy deutete eine Verbeugung vor Braumin an und verließ den Raum.
Braumin blieb noch eine ganze Weile stehen, starrte zu der prächtigen Darstellung von Avelyns Arm hinauf und dachte über die Folgen nach, die die Entscheidungen seines Lebens gezeitigt hatten.
Er war überzeugt, dass St. Mere-Abelle, ja der gesamte Abellikaner-Orden, vor der größten Bewährungsprobe seit Bestehen der Kirche stand. Er bezweifelte, dass die Mauern der Abtei dem Sturm mit Namen Aydrian standhalten würden, und ging fest davon aus, dass er den Beginn des Herbstes nicht mehr erleben würde.
Und doch erfüllte ihn ein tiefer innerer Friede.
»Erst Pireth Tulme und jetzt St. Gwendolyn«, schäumte Herzog Kalas und zerknüllte das Schriftstück in seiner Faust. Er trat einen Schritt vor, worauf der Bote, der ihm die beunruhigenden Nachrichten von Prinz Midalis’ Sieg überbracht hatte, erbleichte und den Eindruck erweckte, als würde er auf der Stelle in Ohnmacht fallen. »Ich wusste es – in beiden Fällen hätten wir stärkere Truppenverbände zurücklassen sollen.«
»So ungeheuer stark war Prinz Midalis’ Armee gar nicht, wenn man den Berichten glauben kann«, wandte Blaxson Tre’felois ein, einer von Kalas’ herausragenden Heerführern und Frontgeneral der zuverlässigsten Kompanie der Allheart-Brigade. »Wir könnten St. Gwendolyn binnen drei Tagen erreichen.«
Kalas schüttelte bereits den Kopf, ehe der Mann seinen Gedanken zu Ende geführt hatte. »Prinz Midalis hat die Abtei längst wieder verlassen«, erklärte er.
»Weil er weiß, dass er uns keinen Widerstand leisten kann.«
»Deshalb setzt er auf eine Zermürbungstaktik«, sagte Kalas. »In der Hoffnung, die Unterstützung für König Aydrian in der Bevölkerung zu untergraben. Ich würde mich ebenso verhalten, wäre ich an seiner nicht eben beneidenswerten Stelle.«
»Nicht beneidenswert deshalb, weil wir wissen, dass er damit bestenfalls kleinere Erfolge erzielen wird«, warf Blaxson ein. »Irgendwann wird er uns und König Aydrian Auge in Auge gegenübertreten müssen.«
»Wo befindet sich König Aydrian derzeit?«, wollte Herzog Kalas wissen.
»Letzten Berichten zufolge in Ursal beim ehrwürdigen Vater De’Unnero«, erwiderte Blaxson. »Inzwischen dürfte er aber bereits wieder unterwegs sein, vielleicht sogar hierher, um zu uns zu stoßen, sobald wir St. Mere-Abelle vollständig umzingeln.«
Herzog Kalas schüttelte den Kopf. »Wir werden die Tore von St. Mere-Abelle noch vor seinem Eintreffen erreicht haben. Außerdem möchte ich zu beiden Seiten der Abtei an der Küste Geschützbatterien errichten lassen. Sollte Prinz Midalis die Absicht haben, mit seiner Flotte in den kleinen Hafen von St. Mere-Abelle einzulaufen, werden wir ihm einen Strich durch die Rechnung machen.«
»Ihr glaubt, Midalis ist von St. Gwendolyn wieder in den Norden zurückgekehrt?«
Kalas nickte. »Ich an seiner Stelle hätte es getan. Der Sommer rückt näher, und einer Überquerung des Golfs steht nichts mehr im Weg. Prinz Midalis’ Rückzug sowohl aus Pireth Tulme als auch aus St. Gwendolyn beweist, dass er um seine Schwächen weiß. Er muss sich dringend um weitere Unterstützung kümmern, und damit kann jetzt, da ihm Pireth Dancard versperrt ist, nur St. Mere-Abelle gemeint sein.« Kalas ließ sich seinen Plan noch einmal durch den Kopf gehen, ehe er entschlossen nickte. »Schickt eine Nachricht nach Palmaris«, ordnete er an. »Der noch verbliebene Teil der Masur-Delaval-Flotte soll unverzüglich Segel setzen und mit Ziel St. Mere-Abelle in See stechen.«
»Nach König Aydrians Bekunden verfügt Prinz Midalis über eine gewaltige Armada«, gab Blaxson zu bedenken.
»Wir werden es vermeiden, Prinz Midalis in eine Seeschlacht zu verwickeln«, versicherte ihm Herzog Kalas. »Stattdessen sollten wir zusehen, dass wir vor dem Prinzen in St. Mere-Abelle eintreffen. Unsere Flotte braucht nichts weiter zu tun, als die Hafenanlagen der Abtei zu zerstören. Und das sollte eigentlich nicht allzu schwierig sein. Anschließend lassen wir unsere Kriegsschiffe im Schutz der Reichweite unserer Küstengeschütze in Lauerstellung gehen.«
»Das würde bedeuten, dass St. Mere-Abelle auf sich allein gestellt ist, ebenso wie Prinz Midalis«, sagte Blaxson.
Herzog Kalas straffte die Schultern. »Wir müssen unter allen Umständen
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