Schattenelf - 6 - Der letzte Kampf
ein zweites.
Eine Pechkugel versank mit lautem Zischen neben dem Schiff im kalten Meer, die zweite jedoch fand ihr Ziel, verteilte sich spritzend über die aufgespannten Segel und steckte sie in Brand. Von diesem feuerüberfluteten Deck erfolgte dann auch die Reaktion: Fünfzig brennende Pfeile bestrichen die Hafenanlagen Dancards, gefolgt von einer offenbar als Vergeltung gedachten Pechkugel, die sich spritzend über die unteren Mauerbereiche verteilte.
Das getroffene Schiff änderte schlagartig seinen Kurs, legte sich hart auf die Seite und hielt genau auf die Anlegestelle der Insel zu.
Oben auf dem Turm schloss Wachmann Presso die Augen und schüttelte den Kopf, als er die Taktik in ihrem ganzen Ausmaß zu begreifen begann. Aufgrund seines Schwungs würde das angeschlagene Schiff in die Hafenanlagen krachen, wo seine Elitebesatzung im Handumdrehen an Land gehen würde.
Er richtete den Blick an diesem Schiff vorbei auf die übrigen zehn und schließlich auf die zehn feurigen Kugeln, die soeben in hohem Bogen in den Himmel stiegen.
Auch Meister Stimson verfolgte die Reaktion der Katapulte und registrierte mit Interesse, dass von den zehn Schüssen nur sechs auf den unmittelbaren Bereich der Hafenanlagen abgegeben worden waren. Die vier weiter gezielten Schüsse stiegen weiter östlich in den Himmel, gingen inmitten der Steingebäude nieder und setzten im Bereich ihrer Aufschlagzone alles Brennbare in Flammen.
Menschen eingeschlossen.
Stimson schloss die Augen, als er nun doch die altbekannten Schreie hörte, genau wie damals, während der Aufstände in seiner Jugend. Kein lustvolles Kriegsgebrüll von Soldaten, sondern schrille Schreie der Bestürzung und heillosen Entsetzens, das aus der Verwirrung Unbeteiligter erwuchs, die sich plötzlich in eine Schlacht verwickelt sahen, die sie nicht begreifen konnten. Sogar die Tonlage war eine andere, denn unter das aus der kleinen Siedlung herüberschallende Schreien mischte sich das Kreischen von Frauen und Kindern.
Der Abellikaner-Mönch wandte sich wieder zu Graf DePaunch um und sah, dass dieser sich von den offenkundig fehlgeleiteten Schüssen nicht im Mindesten aus der Ruhe bringen ließ. Stimson begriff. DePaunch versuchte Pireth Dancard in eine größere Schlacht hineinzuziehen. Damit blieb wenig Raum für gesunden Menschenverstand und einen möglichen Kompromiss, wenig Raum für diplomatisches Geschick. Denn plötzlich kämpfte Pireth Dancard um seine nackte Existenz. Die Soldaten kämpften nicht, weil sie die Hafenanlagen halten wollten, sie kämpften um das Überleben ihrer Familien. Auf dieser Insel lebten vielleicht vierhundert Personen, davon nicht mehr als ein Viertel Soldaten. Die Übrigen arbeiteten als Hafenarbeiter, Farmer oder Fischer. Und unter diesen drei Vierteln der Bevölkerung waren auch die Familienangehörigen, die Frauen und Kinder.
Stimson richtete sein Augenmerk gerade rechtzeitig wieder auf die Hafenanlagen, um zu sehen, wie sich das angeschlagene Schiff in die hölzerne Landungsbrücke bohrte. Mächtige Balken, sowohl am Pier als auch an Bord, protestierten ächzend, und ein Teil der Landungsbrücke stürzte in die Fluten. Schließlich kam das Schiff längsseits der zerstörten Holzkonstruktion brennend und mit Schlagseite zum Stillstand. Trotzdem stürmte die Mannschaft nicht sofort an Land; stattdessen säumte sie das Deck hinter der hohen Reling und setzte ihr Sperrfeuer aus Pfeilen fort, die in mächtigen Salven über den Hafenanlagen niedergingen.
Als Antwort wurden sie von den Steinwällen aus beschossen – von einer Gruppe Bogenschützen, die den fünfzig Schützen auf dem angeschlagenen Schiff zumindest zahlenmäßig ebenbürtig war. Die Männer der Küstenwache waren offenkundig bestens ausgebildet. Ihre Salven kamen in unablässiger Folge: Erst schoss das erste Drittel, dann folgte das zweite und schließlich auch die letzte Gruppe, ehe sich die Prozedur in perfekt aufeinander abgestimmtem Rhythmus wiederholte. Viele der abgeschossenen Pfeile hatten brennende Spitzen, was an Bord des angeschlagenen Schiffes für zusätzliche Verwirrung und Zerstörung sorgte.
Ein dumpfes Schnurren von weiter oben bewog Stimson, den Blick zum Turmdach zu heben. Er sah ein dunkles, spitzes Etwas davonschnellen, einen mächtigen Wurfgeschützbolzen, der sich jedoch nicht auf das angeschlagene Schiff hinabsenkte, sondern auf eines der anderen herannahenden sechs. Der Bolzen streifte das Vorderteil des ganz links außen von der Assant
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