Schattenengel (Contoli-Heinzgen-Krimi)
aus. Das Zittern vor Kälte wechselte in ein wohliges Gefühl der Wärme. Eine lange Weile lag Petra auf dieser einsamen Bank und starrte blicklos vor sich hin, bis ihr Geist mit ihrer Mutter davon schwebte, hinaus und hoch ins Licht der Unendlichkeit. „Hab keine Angst, meine Kleine, ich bin bei dir.«
14
Angenehme Frühlingsluft strömte Anke entgegen. Normalerweise kitzelte dieses Erwachen der Natur an ihren Hormonen, doch heute kratzte es an der Tristesse in ihr. Die Sonne stach von einem azurblauen Himmel auf Bonn herab. „Der Mai ist doch einer der schönsten Monate«, bestätigte Anke, nachdem sie ihren Oberkörper durch das weit geöffnete Fenster ihres Appartements hinaus gelehnt hatte. Doch schon bald kräuselte sie die Nase. Doch er lässt auch die Abgase intensiver riechen.
Eben hatte Trenck sie mit seinem Anruf aus dem Bett gescheucht. Anke dachte daran, was ihr noch schlaftrunkenes Hirn aufgenommen hatte: Ausgeraubt, fürchterlich zusammengeschlagen und halbtot war gestern Nacht ein Engländer nach seinem Besuch in der Business Bar von Passanten gefunden und ins Krankenhaus gefahren worden. „Der Mann schwebt noch in Lebensgefahr«, so ihr Chef. Also würde sie sich heute Abend in der noblen Bar am Berliner Platz näher umsehen. Impulsiv wollte sie Wolf anrufen und fragen, ob er sie begleite. „Mist, ist ja aus zwischen uns!« Bis sie das verinnerlicht hatte, würde ihr so etwas wohl noch öfter in den nächsten Wochen passieren. Erst mal einen Kaffee.
Im Durcheinander der Pantryküche fand sie einen benutzten, allerdings nicht so arg verschmutzten Becher, der nach kurzem Ausspülen herhalten konnte. Mit dem Kaffee trabte sie abermals zum Fenster und schaute hinaus. Zwischendrin kam ihr die gestern zugestellte Aufforderung zum Gerichtstermin in den Sinn und somit musste sie automatisch an Laura Koll denken. Peter Bender hatte vor Wochen bereits gesagt, dass das Verfahren wahrscheinlich eingestellt würde. Ihre Gedanken glitten weiter zu Lauras Bruder. Von ihm hatte sie ebenfalls nichts mehr gehört. Das ist gut so. Anke trank den letzten Schluck und verzog den Mund.
Birgit könnte mit! Aber wieso suche ich so händeringend jemanden, der heut Abend mitkommt? Ich bin doch bisher, wenn‘s jobmäßig nötig war, ohne Scheu allein unterwegs gewesen. Die auf der Hand liegende Erkenntnis überraschte sie nicht, trotzdem stöhnte sie auf. Wolf. Ich fühle mich nicht nur seelisch, sondern auch körperlich unpässlich, und das macht sich durch schwindende Tatkraft bemerkbar. Ich darf um Himmels willen nicht noch tiefer fallen. „Apropos tiefer fallen«, murmelte sie, „ein tiefer Fall führt oft zu hohem Glück.« Das gibt ja noch Hoffnung. Sie grinste. „Ich gehe allein und mittendurch«, sagte sie laut zu ihrem Kaffeebecher, ehe er in dem kleinen Edelstahlspülbecken neben den anderen verschwand.
Auf in den Tag!
Das hieß für Anke: Lesen des Generalanzeiger , Überfliegen der Süddeutschen , ein Blick in AZ Online , Spiegel-Online und eine Abfrage der Alerts bei Google News. Nebenbei mit einem Ohr WDR und mit dem anderen SWR Regional lauschen. Abrufen der über Nacht eingegangen Emails. Anschließend ein erster Anruf bei den Pressestellen der Polizeidirektionen, was in der Nacht passiert war. Raubüberfall. Weiß ich schon durch Trenck. Dealer im Bonner Loch gefasst.
Auch nichts Besonderes. Schwerer Unfall, keine Bilder. Der diensthabende Fotograf hat mal wieder gepennt. Gut, dass ich nie ohne Camera losziehe.
Trickbetrüger, die sich Einlass bei alten Frauen verschaffen und ausrauben. Alles Routine. Von ihren Informanten erhielt sie auch nichts. Es schien nichts Spektakuläres mehr in ihrem Dunstkreis zu geschehen.
Im Bonner Nachtleben hatte Anke bis dato wenig Erfahrungen gesammelt. Bisher war sie auch des Nachts lieber mit Wolf im Himmelbett gelegen, doch genauso wie die Business Bar hatte sie sich eine Nachtbar vorgestellt. Angenehm temperiert, dezente Musik, gedämpftes, aber farbenfrohes Licht, geschmackvolle Ledersitzgruppen an kleinen, runden Tischen und Männer, die den Tanzeinlagen der kaum bekleideten Mädchen in ihren fantasievollen Nichtskostümen fasziniert zuschauten. Allerdings waren auch etliche Damen in Männergesellschaft anwesend. Anke stand nahe am Eingang, die Augen des bulligen Türstehers und der vier Gestalten der Security im Rücken. Langsam schob sie sich weiter ins Innere des Lokals, indessen sie versuchte, unter einem verhaltenen Blick die Umgebung zu erfassen.
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