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Schattenfall

Schattenfall

Titel: Schattenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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mochte – nicht überraschen.
    »Ich lebe noch, weil mein Vater in deiner Jugend hier durchgekommen ist und ein Verbrechen begangen hat, für das du Wiedergutmachung verlangst. Ich glaube nicht, dass du mich zu töten vermagst, obwohl du es sehr gern tätest. Du bist zu intelligent, um in Ersatzhandlungen Befriedigung zu finden. Dir ist klar, welche Gefahr ich verkörpere, doch du hoffst, mich zum Werkzeug deiner weitergehenden Absichten machen zu können. Schließlich stimmen meine und deine Ziele ein gutes Stück überein.«
    Diesen Worten folgte eine kurze Stille. Cnaiür war sich nicht sicher, ob ihn diese Einlassungen erschrecken oder ob er ihnen zustimmen sollte. Dann wich er – plötzlich misstrauisch geworden – zurück. Dieser Mann ist völlig vergeistigt… Und sein Geist will nur eines: Krieg.
    »Du bist beunruhigt«, sagte die Stimme. »Du teilst meine Einschätzung der Lage, hast aber nicht damit gerechnet, dass ich sie ausspreche – und kaum habe ich sie ausgesprochen, fürchtest du, ich würde damit nur deine Erwartungen bedienen wollen, um dich fundamental in die Irre zu führen.« Er machte eine Pause. »Wie mein Vater Moënghus es getan hat.«
    »Leute wie du verwenden Worte wie Messer!«, stieß Cnaiür hervor. »Aber sie schneiden nicht immer, stimmt’s? Die Reise durch Suskara hätte dich beinahe umgebracht. Vielleicht sollte ich wie ein Sranc denken.«
    Der Fremdling wollte antworten, doch Cnaiür hatte sich schon erhoben und beugte sich aus dem Zelteingang in die reine Luft der Steppe, um Unterstützung herbeizurufen. Ungerührt sah er zu, wie seine Leute den Norsirai ins Freie schleppten und nackt an einen Pfahl banden, der beinahe in der Mitte des Lagers stand. Dort wimmerte und heulte der Gefangene stundenlang und schrie um Gnade, während seine Peiniger ihm nach alter Väter Sitte zusetzten.
    Als Anissi zu weinen begann, schlug Cnaiür sie. Nein, er glaubte den beiden kein Wort.
     
     
    In dieser Nacht kehrte der Häuptling zurück und wusste – oder hoffte doch –, dass die Dunkelheit ihn schützte.
    Im Zelt stank es noch immer. Der Fremdling lag reglos da wie das Mondlicht.
    »Also?«, fragte Cnaiür. »Was hast du vor? Und denk bloß nicht, ich würde glauben, ich hätte deinen Widerstand gebrochen. Leute deines Schlags bekommt man nicht klein.«
    Es raschelte im Dunkeln. »Du hast recht.« Die Stimme klang fast herzlich. »Leute meines Schlags denken nur an ihre Aufgabe. Ich bin wegen meines Vaters Anasûrimbor Moënghus unterwegs. Ich bin gekommen, ihn zu töten.«
    Vom schwachen Südwind abgesehen war es völlig still.
    Dann fuhr der Fremde fort: »Nun liegt die Entscheidung ganz bei dir, Häuptling. Es sieht so aus, als hätten wir das gleiche Ziel. Ich weiß, wo und vor allem wie Anasûrimbor Moënghus zu finden ist, und biete dir den Trank, nach dem du dich am stärksten sehnst. Jetzt musst du dir darüber klarwerden, ob er Gift für dich ist oder nicht.«
    Würde er es wagen, sich an den Sohn zu halten?
    »Echten Durst hat man nur nach dem, was giftig ist«, brachte Cnaiür heiser hervor.
     
     
     
    Die Frauen des Häuptlings kümmerten sich um Kellhus, spülten seine Wunden und versorgten sie mit Salben, die die alten Frauen des Stamms hergestellt hatten. Manchmal sprach er dabei mit seinen Pflegerinnen, und seine freundlichen Worte nahmen ihnen die Angst und ließen sie lächeln.
    Als für ihren Ehemann und den Norsirai die Zeit der Abreise gekommen war, versammelten sich die Frauen vor dem Weißen Zelt, beobachteten ernst, wie die Männer ihre Pferde sattelten und beluden, und spürten den enormen Hass des einen und die gottähnliche Gleichgültigkeit des anderen. Und als die beiden Reiter schließlich am Horizont verschwunden waren, wussten die Frauen nicht, um wen sie weinten – um den, der sie beherrscht, oder um den anderen, der sie verstanden hatte.
    Nur Anissi hatte keinen Zweifel daran, um wen sie weinte.
     
     
    Cnaiür und Kellhus ritten nach Südosten und kamen aus dem Gebiet der Utemot in das der Kuöti. Kurz bevor sie auch deren Weidegründe verließen, wurden sie von ein paar Reitern mit extravaganten Sätteln eingeholt, deren Knäufe aus polierten Wolfsschädeln waren, während Federn die Hinterpauschen schmückten. Cnaiür sprach kurz mit den Männern und berief sich auf die Traditionen der Präriestämme. Gleich darauf ritt die Schar wieder davon – vermutlich ganz versessen darauf, ihrem Häuptling zu berichten, dass die Utemot endlich ohne ihren

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