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Schattenfall

Schattenfall

Titel: Schattenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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alten Mann?«
    »Es gibt nichts zu verzeihen, Celmomas. Du hast viel erlitten, viel verloren.«
    »Mein Sohn… glaubst du, er wird da sein, Seswatha? Meinst du, er wird in mir den Vater erkennen?«
    »Ja… den Vater und den König.«
    »Hab ich dir je erzählt«, begann Celmomas, und in seiner brechenden Stimme lag ein herzzerreißender Stolz, »dass mein Sohn sich einmal in die tiefsten Tiefen von Golgotterath geschlichen hat?«
    »Ja.« Achamian lächelte unter Tränen. »Das hast du mir oft erzählt, alter Freund.«
    »Ich vermisse ihn furchtbar, Seswatha! Wie sehr sehne ich mich an seine Seite zurück.«
    Dem alten König rannen Tränen über die Wangen. Dann weiteten sich seine Augen. »Ich sehe ihn ganz deutlich. Er hat sich auf die Sonne geschwungen und reitet mitten unter uns. Ich sehe ihn! Er stürmt durch die Herzen meines Volkes, bringt sie zum Staunen, versetzt sie in Wut!«
    »Pssst… Spart Eure Kräfte, mein König. Die Ärzte sind gleich da.«
    »Er sagt so schöne Dinge, um mich zu trösten. Er sagt, einer meiner Nachkommen kehre zurück, Seswatha – einmal wird ein Anasûrimbor zurückkehren…« Ein Zittern durchfuhr ihn, und er atmete mit gequälter Miene aus. »Doch das wird am Ende aller Tage sein.«
    Mit diesen Worten brachen die strahlenden Augen von Anasûrimbor Celmomas II. dem König von Kûniüri und Weißen Lord von Trysë. Die Abendsonne leuchtete noch einmal auf und ging dann flimmernd unter, und die schimmernden Bronzerüstungen des Heers der Norsirai verblichen im Zwielicht des Nicht-Gottes.
    »Unser König!«, rief Achamian den gramgebeugten Rittern zu, die sich um ihn gesammelt hatten. »Unser König ist tot!«
    Esmenet fragte sich unwillkürlich, ob solche Spielchen auf dem Kamposea-Markt üblich waren.
    Sie stand mit dem Rücken zu ihm, spürte aber seinen prüfenden Blick. Also befühlte sie ein Bündel Oregano und tat, als wollte sie sich vergewissern, ob es kunstgerecht getrocknet war. Dazu beugte sie sich vor und wusste natürlich, dass ihr weißes Leinenkleid – ein traditioneller Hasas – dabei zwischen den Pobacken eine Falte werfen und sich seitlich öffnen würde, was dem Fremden einen kurzen Blick auf ihre nackte Hüfte und die rechte Brust bescheren würde. Ein Hasas war kaum mehr als ein langes Stück Leinen mit kompliziert besticktem Kragen, das an der Taille mit einem Ledergürtel zusammengehalten wurde. Zwar war es an heißen Tagen das bevorzugte Gewand verheirateter Frauen, doch auch unter Huren war es beliebt – aus unübersehbaren Gründen.
    Aber sie war keine Hure mehr. Sie war…
    Sie wusste nicht mehr, was sie war.
    Auch Eritga und Hansa – die beiden aus Cepalor stammenden Leibsklavinnen des Sarcellus – hatten den Mann bemerkt. Kichernd standen sie beim Zimt und taten, als würden sie sich über die Länge der Stangen auslassen. Nicht zum ersten Mal an diesem Tag ertappte Esmenet sich dabei, die zwei genauso zu verachten wie in Sumna früher oft die Hurenkonkurrenz – vor allem die jungen Frauen.
    Mich beobachtet er! Mich!
    Er war überaus schön, hatte blondes Haar und ein breites Kreuz und trug nur einen blauen Leinenrock mit goldenen Quasten, der ihm an den verschwitzten Oberschenkeln klebte. Die blauen Tätowierungen an den Armen wiesen ihn als Offizier der Kaiserlichen Garde aus. Ansonsten wusste Esmenet nicht das Geringste über ihn.
    Sie waren sich erst kurz zuvor begegnet. Esmenet war mit ihren beiden Sklavinnen unterwegs; er hatte drei Kameraden dabei. Im Gedränge war sie gegen ihn geschoben worden. Er roch nach Orangenschalen und salziger Haut. Und groß war er – ihre Augen reichten ihm kaum bis zum Schlüsselbein. Er schien vor Gesundheit zu strotzen, und sie hatte aufgesehen und ihn – ohne zu wissen, warum – auf jene scheue und doch wissende Art angelächelt, die Sittsamkeit beteuerte und zugleich Hingabe versprach.
    Danach hatte sie Eritga und Hansa nervös, aufgeregt, ja bestürzt in eine ruhige Seitengasse gezogen, durch die nur ein paar Schaulustige bummelten und auf deren Bürgersteig Gewürzstände mit flachen, aber gut gefüllten Körben und ganze Vorhänge gebündelter Trockenkräuter aufgebaut waren. Verglichen mit dem Gestank der Menge hätten sich die hier versammelten Düfte eigentlich als willkommene Abwechslung erweisen sollen, doch Esmenet hatte festgestellt, dass sie dem Geruch des Fremden nachtrauerte.
    Jetzt trieb er sich etwas entfernt in der Sonne herum und beobachtete sie irritierend unverhohlen, während

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