Schattenfall
ihres Kalibers lebten.
Anfangs war das sehr seltsam gewesen. Oft hatte sie morgens wach gelegen und den scheußlichen Geräuschen zugehört, die seine Sitzung auf dem Nachttopf begleiteten. Dann hatte sie den Kopf in den Decken vergraben und darauf bestanden, er müsse zu einem Arzt oder einem Priester gehen. Das war nur halb im Spaß gesagt, weil sein Platzkonzert wirklich scheußlich war. Einmal hatte sie – eher verzweifelt als vergnügt – gerufen: »Nur weil du jede Nacht von neuem die Apokalypse durchlebst, Akka, musst du sie doch nicht jeden Morgen mit mir teilen!« Seitdem bezeichnete er seine Sitzungen als »morgendlichen Weltuntergang«. Stets lachte Achamian nun leise und reumütig in sich hinein, wenn er sich den Hintern putzte, und murmelte dabei vor sich hin, wie wunderbar es sei, sich am Abend zu betrinken und morgens die Gedärme durchzublasen. Und der Anblick eines Hexenmeisters, der sich Wasser auf den Hintern spritzte, wirkte auf Esmenet stets tröstend und erheiternd.
Dann stand sie auf, öffnete die Läden, setzte sich nach alter Gewohnheit halbnackt aufs Fensterbrett und blickte abwechselnd mal über das rauchige und lärmende Sumna, mal auf die Straße, um mögliche Kundschaft zu entdecken. Danach aßen sie ein einfaches Frühstück aus ungesäuertem Brot, Quark und Früchten und redeten dabei über alles Mögliche: über die neuesten Maithanet-Gerüchte; über die korrupten und scheinheiligen Priester; darüber, dass die Fuhrmänner mit ihren Flüchen sogar Soldaten zum Erröten brächten und so weiter. Und stets hatte Esmenet den Eindruck, sie seien glücklich und gehörten auf eine merkwürdige Weise genau zu dieser Stunde an genau diesen Platz.
Früher oder später aber rief jemand von der Straße zu ihr hoch, oder einer ihrer Stammkunden klopfte an die Tür, und damit begannen die Dinge unweigerlich einen unangenehmen Verlauf zu nehmen. Achamian wurde dann grimmig, griff sich Mantel und Rucksack und machte sich in eine schmuddelige Taverne auf, um sich zu betrinken.
Normalerweise versuchte sie, seine Rückkehr heimlich vom Fensterbrett aus zu beobachten, und sah ihn dann allein durch die endlose Menschenmenge kommen – einen alternden, etwas untersetzten Mann, der aussah, als habe er gerade den Inhalt seiner Geldbörse verspielt. Doch immer, wirklich jedes Mal, hatte er sie schon ins Auge gefasst, bevor sie ihn entdeckte. Dann winkte er zögernd und versuchte zu lächeln, was sie stets mit einem Schlag traurig machte – manchmal so sehr, dass sie laut seufzte.
Was fühlte sie dann? Vermutlich vielerlei. Sicher hatte sie Mitleid mit ihm. Unter Fremden wirkte Achamian stets allein und unverstanden, ja verkannt. Niemand, dachte sie oft, niemand kennt ihn wie ich. Darüber hinaus war sie erleichtert, dass er zu ihr zurückgekehrt war, obwohl er Gold genug hatte, viel jüngere Huren zu kaufen. Und schließlich schämte sie sich, denn sie wusste, dass er sie liebte und jedes Mal tief verletzt war, wenn ein Freier zu ihr kam.
Aber welche Wahl hatte sie denn?
Wenn Achamian sie nicht am Fensterbrett sah, kam er nie in ihr gemeinsames Zimmer hoch. Als sie einmal von einem besonders widerlichen Freier, der ein Kupferschmied zu sein behauptete, Prügel bezogen hatte, war sie einfach nur ins Bett gekrochen und hatte sich in den Schlaf geweint. Vor Sonnenaufgang war sie erwacht und – nachdem sie festgestellt hatte, dass Achamian nicht zurückgekehrt war – ans Fenster gehastet. Dort hatte sie stundenlang kauernd auf ihn gewartet und beobachtet, wie die Sonne erst das Meer in bronzenes Licht getaucht und ihre Strahlen dann über die neblige Stadt gesandt hatte. Die ersten Töpferscheiben wurden in den angrenzenden Straßen angeworfen, und die ersten Rauchwolken und Küchendüfte trieben über die Dächer in den blauenden Himmel. Sie weinte leise. Doch sogar damals hatte sie noch eine Brust frei gemacht, als sei sie eine stillende Mutter, und ein langes blasses Bein übers Fenstersims hängen lassen, damit die, die hochsahen, das schattige Versprechen zwischen ihren Schenkeln ahnen konnten.
Als die Sonne schließlich ihr Gesicht und ihre nackte Schulter zu wärmen begonnen hatte, hörte sie ein Pochen. Sie stürzte durchs Zimmer und riss die Tür auf. Vor ihr stand der mitgenommene Hexenmeister. »Akka!«, rief sie, und Tränen stürzten ihr aus den Augen.
Er betrachtete erst sie, dann das leere Bett und sagte, er sei vor ihrer Tür eingeschlafen. Und in diesem Moment wusste sie, dass sie
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