Schattenfeuer
Er vertraute nur mir, befürchtete, seine anderen Bekannten hätten nicht über die abscheulichen Hintergründe der Verhaftung geschwiegen.«
Während Dr. Solberg sprach, sank er immer tiefer in seinen Sessel, als versuche er, sich hinter den Dokumentenstapeln auf dem Schreibtisch zu verbergen. An jenem Samstag vor elf Jahren setzte sich Eric von einem Polizeipräsidium in Hollywood aus mit dem Professor in Verbindung, und als Solberg dort eintraf, sah er einen völlig anderen Dr. Leben: einen nervösen und unsicheren Mann, beschämt und hilflos. In der vorherigen Nacht war Eric von einer Streife der Sitte verhaftet worden, in einem Stundenhotel, das den Straßenmädchen von Hollywood als billige Absteige diente. Man erwischte ihn mit einer Vierzehnjährigen und warf ihm Vergewaltigung vor.
Zuerst erklärte Eric, das Mädchen habe wesentlich älter ausgesehen, keineswegs wie eine Minderjährige. Dann aber packte er aus, entwaffnet von der Freundlichkeit und der Besorgnis Solbergs. Er erzählte ihm von seiner besonderen Besessenheit im Hinblick auf junge Mädchen. Dem Professor lag nicht sonderlich viel an der Rolle eines Beichtvaters, hörte Eric aber aus reinem Mitgefühl zu.
»Es handelte sich nicht nur um eine sexuelle Orientierung auf minderjährige Mädchen«, wandte sich Solberg an Julio und Reese. »Es war eine wirkliche Besessenheit, ein Drang, ein Bedürfnis, dem er sich nicht widersetzen konnte.«
Selbst als Einunddreißigjähriger fürchtete Eric nichts mehr, als zu altern und zu sterben. In beruflicher Hinsicht war er bereits voll und ganz auf die Langlebigkeitsforschung fixiert. Doch er strebte nicht nur mit Hilfe der Wissenschaft eine Lösung dieses Problems an. In seinem privaten Leben verursachte es zutiefst emotionale und irrationale Reaktionen. Er hatte das Gefühl, irgendwie die vitalen Energien der jungen Mädchen aufzunehmen, mit denen er ins Bett ging. Er wußte natürlich, wie lächerlich diese Vorstellung war, fast abergläubisch, doch trotzdem setzte er den einmal eingeschlagenen Weg fort. Es handelte sich bei ihm nicht um einen Kindesverführer im klassischen Sinne. Er drängte sich keinen Kindern auf, wählte nur diejenigen, die eine gewisse Bereitschaft zeigten -für gewöhnlich Mädchen, die von zu Hause ausgerissen waren und als Prostituierte über die Runden zu kommen versuchten.
»Und manchmal«, fügte Easton Solberg hinzu, »behandelte er sie... ziemlich grob. Er schlug sie nicht etwa zusammen, nein, das nicht, gab ihnen nur die eine oder andere Ohrfeige. Als er sich mir anvertraute, gewann ich den Eindruck, daß er zum erstenmal danach trachtete, eine Erklärung für diese besondere Verhaltensweise zu finden. Die Mädchen waren so jung, daß sie noch nicht die spezielle Arroganz der Jugend von sich abgestreift hatten -eine Arroganz, die sich auf die feste Überzeugung gründet, ewig zu leben. Eric spürte das, und indem er ihnen weh tat, lehrte er sie Furcht vor dem Tod. Er >stahl ihnen ihre Unschuld<, wie er sich selbst ausdrückte, >die Kraft ihrer jugendlichen Unschuld <. Und er gab sich der Illusion hin, dadurch jünger zu werden, die geraubte Unschuld irgendwie absorbieren zu können.«
»Ein Psychovampir«, sagte Julio voller Unbehagen.
»Ja, genau«, pflichtete ihm Solberg bei. »Ein Psychovampir, der glaubte, mit der Jugend jener Mädchen ewig jung zu bleiben. Gleichzeitig aber war ihm klar, daß er sich selbst etwas vormachte. Er wußte, daß er weiterhin älter wurde, trotz der Mädchen, daß er krank war, konnte sich aber nicht von seiner Besessenheit befreien.«
»Was wurde aus der Vergewaltigungsklage?« fragte Reese. »Soweit ich weiß, hat man ihn nie verurteilt. Es gibt keine Vorstrafen.«
»Man überantwortete das Mädchen dem Jugendamt und wies es in eine normale Erziehungsanstalt ein«, sagte Solberg. »Es floh und tauchte in der Stadt unter. Wie sich später herausstellte, hatte es einen falschen Namen genannt, und es gab keine Möglichkeit, es ausfindig zu machen. Ohne das Mädchen konnte die Anklage gegen Eric nicht aufrechterhalten werden, und deshalb wurde das Verfahren eingestellt.«
»Haben Sie ihn aufgefordert, sich an einen Psychiater zu wenden?« fragte Julio.
»Ja. Aber er beherzigte diesen Rat nicht. Eric war ein ungewöhnlich intelligenter Mann, daran gewöhnt, sich selbst zu beobachten und zu analysieren. Er glaubte zu wissen, welche Ursache seine besondere sexuell-psychische Fixierung hatte.«
Julio beugte sich vor. »Und worin bestand
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