Schattenfeuer
in Vegas sind«, erwiderte Julio und bedachte seinen Partner mit einem aufmunternden Lächeln.
»Wenn man sich für eine berufliche Laufbahn bei der Polizei entscheidet, erwartet man, in einem Streifenwagen durch die Gegend zu fahren.«
»Fünfundvierzig Minuten, höchsten fünfzig«, sagte Julio.
»Ich bin dabei«, wiederholte Reese rasch, bevor Verdad seinen Mißmut in Hinsicht aufs Fliegen falsch interpretieren konnte. »Bei diesem Fall lasse ich ebensowenig locker wie du. Aber ich wünschte mir, Las Vegas ließe sich mit einem Schiff erreichen.«
Um 20.12 Uhr rollte das Flugzeug über die Startbahn und hob ab.
Eric fuhr den roten Kleinlieferwagen des Pärchens, das er umgebracht hatte, und ständig bemühte er sich, einen genügend großen Rest menschlichen Bewußtseins zu wahren, um das Fahrzeug zu steuern. Manchmal suchten ihn bizarre Ge danken und Empfindungen heim: das sehnsüchtige Verlangen, den Wagen zu verlassen und durch die dunkle Wüste zu laufen, Wind und Regen auf der nackten Haut zu spüren; das fast unwiderstehliche Bedürfnis, sich an einem dunklen und feuchten Ort zu verkriechen; eine heiße und ungestüme sexuelle Begierde, die sich mit keinen Empfindungen des Homo sapiens oder einer seiner Vorfahren vergleichen ließ, sondern einem animalischen Fieber gleichkam. Darüber hinaus flammten Erinnerungsbilder in ihm auf, die sich nicht auf eigene Erfahrungen gründeten, sondern aus dem Genpool des Rassengedächtnisses stammten: Mit seinen Krallen riß er einen halb vermoderten Baumstamm auf und suchte nach Larven und hin und her kriechenden Insekten; in einem dunklen und stickigen Bau paarte er sich mit einem nach Moschus duftenden Geschöpf... Wenn es Eric zuließ, daß diese Gedanken, Gefühle und Erinnerungen die Oberhand über seinen menschlichen Identitätskomplex gewannen, mußte er damit rechnen, ins subhumane Stadium zurückzusinken, das ihn auf dem Rastplatz zweimal zu einem mordenden Monstrum gemacht hatte. Und in einem solchen Zustand konnte er den roten Wagen nicht mehr lenken; dann ließ sich ein Unfall kaum vermeiden. Aus diesem Grund versuchte er, die verlockenden Reminiszenzen und Sehnsüchte zu unterdrücken und seine Aufmerksamkeit einzig und allein auf den Highway vor ihm zu konzentrieren. Das gelang ihm zum größten Teil - obgleich gelegentlich die Konturen vor seinen Augen verschwammmen, woraufhin sich sein Atemrhythmus jäh beschleunigte und erneut der innere Sirenengesang erklang, der ihn in eine primordiale Bewußtseinsphase zu locken trachtete.
Eine ganze Zeitlang verspürte er keine Anzeichen für weitere körperliche Veränderungen. Hin und wieder aber merkte er, daß die Metamorphose weiter fortschritt. Dann und wann regte sich etwas tief in ihm, ein Komplex, der vorher geruht hatte und nun zu seltsamer Aktivität erwachte eine Kugel aus miteinander verwobenen Würmern, die sich seit einer halben Ewigkeit nicht rührten und von einem Augenblick zum anderen hektisch zu zucken begannen. Eric entsann sich seiner unmenschlichen Augen -das eine grün, mit einer vertikal verlaufenden, orangefarbenen Pupille, das andere eine Ansammlung aus Dutzenden von Facetten -, und er wagte es nicht, sich im Rückspiegel zu beobachten, fürchtete eine endgültige Zersplitterung seiner bereits sehr fragwürdigen geistigen Stabilität. Allerdings sah er seine Hände am Steuer und bemerkte, wie sie sich weiter modifizierten. Seine langen Finger wurden kürzer und dicker, und die Klauen schienen ein wenig zu schrumpfen. Die Zwischenhäute zwischen Daumen und Zeigefinger lösten sich fast vollständig auf. Dann kehrte sich der Prozeß um, und die Hände vergrößerten sich wieder. Die Knöchel wuchsen, und die Krallen wurden noch länger und spitzer. Derzeit waren Erics Hände so gräßlich entstellt - die Haut dunkel und flekkig, jeder Finger mit einem zusätzlichen Gelenk ausgestattet, auf den Nägeln kleine Buckel -, daß er es vermied, sie zu betrachten, den Blick statt dessen auf die Straße gerichtet hielt.
Seine Unfähigkeit, sich dem eigenen Erscheinungsbild zu stellen, resultierte nicht nur aus der Furcht vor weiteren Veränderungen. Einerseits hatte er Angst, ja, aber andererseits reagierte er auch mit einer Art perversem Vergnügen auf seine Metamorphose. Einige Vorteile ließen sich nicht leugnen: Er war enorm stark und ungeheuer schnell - sein Körper kam einer tödlichen Waffe gleich. Abgesehen von seinem deformen Äußeren stellte er die Verwirklichung des Machotraums von
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