Schattenfeuer
rechneten damit, bald ein alles andere als attraktives Angebot zu bekommen, das sie aufforderte, alle Rechte an dem Wildcard-Unternehmen der Regierung zu überlassen, ohne daß man ihnen dafür eine angemessene Gegenleistung in Aussicht stellte. Bestimmt würde man ihnen nahelegen, weder etwas über das Projekt noch Eric Lebens Auferstehung verlauten zu lassen. Darüber hinaus erwarteten sie, dazu gezwungen zu werden, Mordgeständnisse zu unterschreiben, die ihr Schweigen gewährleisten sollten. Zwar gab es nicht die geringste legale Basis für ein solches Angebot - und in diesem Zusammenhang setzte sich die DSA über alle Grundsätze der Demokratie hinweg und brach gleich Dutzende von Gesetzen -, aber Knowls und Seitz blieb trotzdem nichts anderes übrig, als sich mit der neuen Lage abzufinden. Sie standen mit beiden Beinen fest auf dem Boden und wußten, daß man sie unauffällig aus dem Weg räumen würde, wenn sie sich weigerten, zu kooperieren -oder wenn sie versuchten, ihre verfassungsmäßigen Rechte geltend zu machen.
Jene fünf Männer teilten vermutlich das wichtigste Ge heimnis in der ganzen menschlichen Geschichte. Sicher, noch war das Unsterblichkeitsverfahren nicht perfekt, aber irgendwann mochte es gelingen, die derzeitigen Probleme zu lösen. Und wer dann Wildcard kontrollierte, beherrschte die Welt. Angesichts der Tatsache, daß ungeheuer viel auf dem Spiel stand, hielt sich die Regierung nicht damit auf, die dünne Trennlinie zwischen moralischem und unmoralischem Verhalten zu beachten.
Nachdem Sharp den Bericht über Seitz und Knowls entgegengenommen hatte, legte er den Telefonhörer auf, erhob sich und wanderte in dem unterirdischen Büro auf und ab. Dann und wann hob und senkte er seine breiten Schultern und rieb sich den Nacken.
Zu Anfang standen acht Namen auf seiner Liste -acht mögliche Lecks, die es zu stopfen galt. Inzwischen stellten fünf Personen keine Gefahr mehr dar. Sharp war recht zufrieden, nicht nur darüber, wie sich die Ereignisse im allgemeinen entwickelten, sondern in besonderem Maße auch mit sich selbst. Einmal mehr sah er seine professionelle Kompetenz bestätigt.
Bei solchen Gelegenheiten wünschte er sich, seinen Triumph jemandem mitteilen zu können, einem ihn bewundernden Assistenten zum Beispiel. Doch er durfte sich keine engeren Beziehungen zu seinen Mitarbeitern leisten. Sharp war stellvertretender Direktor der Defense Security Agency, der zweite Mann in der Hierarchie -fest entschlossen dazu, früher oder später den ersten Platz einzunehmen. Um dieses Ziel zu erreichen, sammelte er schon seit geraumer Weile Material, das den gegenwärtigen Direktor Jarrod McClain belastete -um ihn zu zwingen, den Abschied zu nehmen und sich mit ganzem Herzen für die Ernennung Sharps zu seinem Nachfolger einzusetzen. McClain behandelte Sharp wie einen Sohn, weihte ihn in alle Geheimnisse der DSA ein. Tatsächlich besaß Sharp bereits genügend Unterlagen, um McClains Karriere ein Ende zu setzen. Aber als vorsichtiger Mann wollte er erst dann aktiv werden, wenn nicht mehr das geringste Risiko eines Fehlschlags bestand.
Nachdem Sharp die Steifheit aus Schultern und Nacken vertrieben hatte, kehrte er hinter den Schreibtisch zurück, setzte sich wieder, schloß die Augen und dachte an die drei Personen, die sich noch immer auf freiem Fuß befanden und so schnell wie möglich unschädlich gemacht werden mußten: Eric Leben, Mrs. Leben, Ben Shadway. Im Gegensatz zu den fünf anderen konnte ihnen kein Angebot unterbreitet werden. Wenn es möglich war, Eric >lebend< zu fassen, würde man ihn irgendwo einsperren und wie ein Versuchstier studieren. Rachael und Ben Shadway hin gegen mußten sterben, auf eine Art und Weise, die wie ein Unfall wirkte.
Es gab mehrere Gründe für Sharp, ihren Tod zu wünschen. Zum einen legten sie beide großen Wert auf ihre Unabhängigkeit, und sie waren hartnäckig und ehrlich eine gefährliche Mischung, in diesem Fall geradezu explosiv. Vielleicht ließen sie sich dazu hinreißen, aus purem Idealismus das ganze Wildcard -Projekt publik zu machen, und dann hätte sich für Sharp auf absehbare Zeit keine Chance mehr ergeben, McClains Platz zu beanspruchen. Die anderen -Lewis, Geffels, Baresco, Knowls und Seitz würden sich aus reinem Selbstinteresse fügen, aber in Hinsicht auf Rachael Leben und Ben Shadway konnte man nicht darauf zählen, daß sie in erster Linie an sich dachten. Außerdem hatten sie sich weder eines Verbrechens schuldig gemacht noch ihre
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