Schattenfreundin
an das Grab heran, sprang bei laufendem Motor noch einmal hinunter und befestigte das andere Ende der Seile an einem Metallring an der Schaufel. Er setzte sich auf den Bagger, hob den Sarg vorsichtig heraus und stellte ihn auf einen Anhänger, der an einen kleinen Traktor angehängt war. Zu guter Letzt lief er vom Bagger zum Traktor und fuhr langsam damit los.
Charlotte und der Angestellte gingen schweigend hinterher. Es war sicher ein merkwürdiges Bild, wie der von Lehm beschmutzte Sarg durch den Friedhof gefahren wurde, über dem langsam die Sonne aufging. Sonst sah man immer nur saubere und mit Blumen geschmückte Särge, denen mal mehr, mal weniger Trauernde folgten. Charlotte fühlte sich, als würde sie heimlich etwas Verbotenes tun.
Vor der Leichenhalle verabschiedete der Friedhofsangestellte sich von ihr. Ein Wagen der Gerichtsmedizin, der die sterblichen Überreste von Franz Wiesner in die Pathologie bringen würde, wartete schon. Charlotte zeigte dem Fahrer die nötigen Papiere und setzte sich dann in ihr Auto, um dem Leichenwagen zu folgen.
An den Geruch, der ihr in der Gerichtsmedizin entgegenschlug, würde sie sich nie gewöhnen können. Es war nicht so sehr die Übelkeit erregende säuerlich scharfe Mischung aus Desinfektionsmitteln und Formaldehyd – was ihr immer wieder schwer zu schaffen machte, war der eigentümliche Geruch des Todes: süßlich faulig. Es war das, was von einem Menschen übrig blieb – ein unerträglicher Gestank.
Charlotte gab dem Pathologen die Unterlagen und wartete noch die Sargöffnung ab, dann verabschiedete sie sich schnell.
»Ich rufe Sie nachher an, okay?«, sagte der Pathologe.
»Danke.« Charlotte war froh, als sie die Gerichtsmedizin wieder verlassen konnte. Eine Besprechung mit der IT-Abteilung wartete auf sie, und sie musste sich eingestehen, dass die tote Welt der Technik ihr sehr viel lieber war als die tote Welt der Menschen.
Im Präsidium stieß sie mit Peter Käfer zusammen.
»Ich wollte dich gerade anrufen. Es geht um das Blut auf dem T-Shirt«, sagte er.
»Und? Mach es nicht so spannend!«
Er holte tief Luft. »Es ist Katzenblut.«
»Wie bitte?!«
»Du hast richtig gehört. Möglicherweise stammt es von der gehäuteten Katze, die im Garten der Wiesners gefunden wurde.«
Charlotte überlegte. »Dann müssen wir auch die Anzeigen wegen Tierquälerei überprüfen. Es gibt schließlich eine Menge Gewaltverbrecher, die ihre Fantasien zuerst an Tieren ausleben, bevor sie sich an Menschen wagen.«
Zusammen gingen sie in ihr Büro.
»Ich hab nie kapiert, warum das so ist«, sagte Peter und ließ sich auf seinen Stuhl fallen. Vor ihm lag eine aufgerissene Tüte vom Bäcker.
»Das hat was mit Macht zu tun«, erklärte Charlotte. »Der Täter hat dadurch das Gefühl, er selbst übt Kontrolle aus und ist nicht mehr das Opfer.«
»Heißt das, weil diese Tanja möglicherweise eine Tierquälerin ist, war sie selbst mal das Opfer von Gewalt?«
Charlotte nickte. »Das ist bei fast allen so. Fragt sich nur, welche Form der Gewalt sie erlitten hat. Wurde sie geschlagen? Oder vielleicht sogar missbraucht? Von Franz Wiesner? Oder von Thomas Ortrup? Oder womöglich sogar von einer Frau?«
»Zunächst einmal: Der Computer von dieser Carmen Gerber ist absolut sauber. Keine verdächtige Recherche, keine Fotos, nichts«, erklärte der Kollege aus der IT-Abteilung. »Und die E-Mail wurde von einem Handy aus verschickt, das danach vermutlich zerstört wurde.«
»Woher wisst ihr, dass es zerstört wurde?«, fragte Käfer.
» Vermutlich zerstört«, korrigierte ihn sein Kollege. »Ein internettaugliches Handy hat in der Regel eine GPS-Funktion. Da es aber keine Möglichkeit gibt, das Handy zu orten, liegt die Vermutung nahe, dass es irgendwie zerstört wurde, verbrannt oder versenkt. So was gibt es oft im organisierten Verbrechen. Du kaufst dir auf dem Flohmarkt ein Handy, am besten mit Prepaid-Karte, erledigst deine Geschäfte und vernichtest es danach. Das ist fast schon krimineller Standard.«
»Wäre auch zu schön gewesen, wenn wir eine ordentliche IP-Adresse rausgefunden hätten«, seufzte Charlotte.
»Und am besten gleich noch den richtigen Namen plus Anschrift …« Der Kollege schüttelte den Kopf. »Ihr habt manchmal richtig geile Vorstellungen …«
Charlottes Handy klingelte. »Sorry«, sagte sie und ging auf den Flur. Peter folgte ihr.
»Und woher könnten die Punktionsmerkmale kommen?«, fragte sie. Während sie zuhörte, ging sie weiter zu ihrem
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