Schattengeboren - Sinclair, A: Schattengeboren
brüllte Ishmael aus Leibeskräften. »Zu mir! Auf das Ballsaaldach!«
Balthasar
Es gibt Probleme auf dem Dach , hatte Balthasar vor einiger Zeit jemanden draußen sagen hören. Straus hatte den Kopf auf die Seite gelegt und gelauscht, dann grimmig genickt und sich wieder darangemacht, die vielen Fehler seines Schwiegersohns aufzuzählen. Er und Balthasar versorgten den muskulösen Rücken eines jungen Fuhrmanns, der mit seiner Kutsche die Schwachen und Verletzten in die Zuflucht von Steinbrücken transportiert und seine letzten Passagiere mit seinem eigenen Körper gegen einen Angriff geschützt hatte. Der Apotheker aus Steinbrücken tröpfelte mit starrer Konzentration Chloroform auf die Maske über dem Gesicht des Patienten. Er hatte kaum ein Wort gesprochen, seitdem er mit dem jüngsten Kind seines Bruders in seinen Armen durchs Tor gestolpert war. Seine älteste Tochter befand sich oben bei den Verteidigern, aber sonst hatte niemand von seiner oder seines Bruders Familie das Herrenhaus erreicht, und niemand konnte ihm sagen, ob sie lebten oder tot waren.
Der Fuhrmann wurde lebend vom Tisch getragen, obwohl keiner der Ärzte ihm große Chancen einräumte. Sie hatten die Wunden gründlich gereinigt und Stoffreste daraus entfernt, aber seine Verletzungen waren so großflächig und tief, dass sie nicht das ganze abgestorbene Gewebe entfernen konnten, und Wunden von schattengeborenen Krallen infizierten sich leicht. Straus grummelte vor sich hin, während sie nebeneinanderstanden und sich das Blut von den Händen schrubbten. »Er wird wahrscheinlich in einigen Tagen tot sein, selbst wenn wir nicht überrannt werden. Können Sie mit einer Schusswaffe umgehen, Städter?«
»Nein«, antwortete Balthasar.
»Dann gehe ich also recht in der Annahme, dass Sie keine haben?«
Wie Balthasar feststellte, war Straus bewaffnet. Sein Sonar zeigte ihm die Umrisse eines Revolvers unter seiner Chirurgenschürze. Hatte sich der Arzt auf einen Kampf vorbereitet?
»Nein. Sollte ich?«
»Nicht, wenn es Sie zu einem größeren Risiko für die Verletzten macht.« Straus peilte ihn. »Aber es gibt einige, die gern eine Kugel für sich selbst hätten.«
Lieber die Kugel als unter schattengeborenen Zähnen oder Klauen sterben, begriff Balthasar. Er wusste, dass für einige Menschen die Art des Todes eine Rolle spielte, und dass es Menschen gab, die glaubten, einige Todesarten entweihten Körper und Seele. Er gehörte nicht zu ihnen. Die meisten Tode waren hässlich. Er schüttelte den Kopf.
Straus verlor kein Wort mehr darüber. »Als Nächstes werden wir uns die Schädelwunde vornehmen, wenn nebenan nichts Schlimmeres wartet.«
Der Nebenraum war ein kleineres Speisezimmer für die Baronin und ihren Kreis gewesen. Kuchen zur Hochzeit und zum Namenstag hatten sich dort unter dem Gewicht des Tortengusses und der dekorativen Verzierungen durchgebogen. Nun lagen auf Reihen von Pritschen Männer und Frauen, die auf eine Operation warteten, sich nach einer erholten oder in größtmöglichem Komfort starben. Die meisten von ihnen waren still, betäubt, zu schwach oder wegen des Schmerzes resigniert, sodass er das Schluchzen einer jungen Frau vernahm, die sich auf einem Stuhl in der Ecke wiegte. Balthasar seufzte. Ihre Schwester hatte während des Rückzugs vorzeitig Wehen bekommen. Das Kind musste gestorben sein, und vielleicht die Mutter ebenfalls.
»Hearne.« Stranhornes einarmiger Gehilfe bahnte sich einen Weg zwischen den Pritschen hindurch, um mit ihm zu sprechen. »Der Baron – Strumheller – möchte ein Wort mit Ihnen wechseln. Sie haben ihn in die Galerie gebracht, wo die Besprechungen stattfinden. Er ist nicht schwer verletzt«, fügte er hinzu, als er Balthasars Reaktion bemerkte. »Baronesse Laurel näht ihn. Sorgen Sie dafür, dass sie sich mal für einen Augenblick hinsetzt.« Dann sagte er, laut genug, damit Patienten und Gehilfen es gleichermaßen verstehen konnten: »Wir haben sie abgewehrt«, und leise an Balthasar gewandt, »auch wenn es knapp war.«
In der Seitengalerie lehnte sich Ishmael di Studier in einem der Sessel zurück und hatte den Arm auf einen schmalen Tisch gelegt. Laurel di Gautier nähte die beiden Risswunden, die sich quer über seinen Unterarm zogen. Ishmael biss auf eine Lederrolle und krallte die gesunde Hand in die Armlehne des Sessels. Ansonsten ertrug er die Prozedur, ohne mit der Wimper zu zucken.
Nach der Geschwindigkeit und Geschicklichkeit zu urteilen, mit der Laurel die Stiche anbrachte,
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