Schattengeboren - Sinclair, A: Schattengeboren
zu werden.
Nachdem das Herrenhaus einige weitere Male müde gehustet hatte und erbebt war, fügte es sich seinem Kriegertod. Die Räder verschwanden in der Nacht, und Wind und Regen übertönten die schnellen Schritte. Das Signalhorn rief abermals in dünnem Trotz, dann blieb nur noch das schwächer werdende Geräusch von eisenbeschlagenen Hufen. Mit seiner tauben Haut fühlte er weder die Temperatur noch die Wucht des Regens. Der Sonnenaufgang war nicht mehr fern.
Bei diesem Gedanken und ungeachtet dessen, was sonst noch in diesen Ruinen umherstreifte, erhob er sich taumelnd. Der erste Schritt ließ ihn beinahe zurück in die Pfützen fallen, aber er schlurfte auf das Herrenhaus zu, ohne zu wissen, ob er dort Zuflucht suchte oder helfen wollte. Was nicht bereits bei der Explosion zerstört worden war, würde brennen. Jeder, der in dieser Ruine noch lebte, würde nicht mehr lange am Leben bleiben. Balthasar war schwindlig von dem Krieg zwischen seinen freien und seinen verhexten Gefühlen. Ein machtloser, mörderischer Zorn, von dem er wusste, dass er dem Wahnsinn nah war, und gleichzeitig fühlte er ein hilflosen Mitleid mit allen, einschließlich dieses kindlichen Ungeheuers, das ihn in seinem Bann hielt. Er hoffte – wie sehr er hoffte –, dass die Stranhornes keinen der ihren am Leben gelassen hatten. Aber er wusste, dass jemand den Eingang zum Ballsaal verriegelt haben musste, und einige der Verwundeten würden die Reise nicht überlebt haben – er erinnerte sich an Linneas Revolver –, wenn sie sie angetreten hätten.
In der Lücke hörte er jemanden heiser husten. Nur mit knapper Not gelang es ihm, sich nicht durch einen Peilruf zu offenbaren. Er drückte seinen Rücken an die Mauer und lauschte auf das Knirschen und Schlittern stolpernder Füße auf wüstem Schutt.
»Nicht … «, ächzte eine Männerstimme.
»Lass mich … « Balthasar hörte ein gurgelndes Stöhnen und das Geräusch von regennassem Leder, das gegen die Wand schlug. Eine vertraute, junge Stimme keuchte: »Neill – Neill, was mache ich jetzt? Hilf mir! «
Bei diesem »Hilf mir!« krampften sich ihm durch die Verhexung seine Eingeweide zusammen, und er wurde von ihr vorwärtsgezerrt. Der Junge stand geduckt da und drückte Neills Schultern gegen die raue Mauer. Neills Flickenjacke fehlte. Von dem einst feinen Hemd waren nur die Seiten und Schultern übrig geblieben. Die Ärmel hingen in Lumpen herab, und die Vorderseite war aufgerissen. Rechts von seinem Brustbein befand sich ein Loch im Fleisch, in dem sich bei jedem Ausatmen Schaum bildete. Mit dieser Wunde sollte er eigentlich tot sein, aber er besaß offensichtlich eine Art heilende Magie.
»Ich brauche … «, stieß Neill hervor, und Balthasar zuckte heftig zusammen, als sich etwas Borstiges und Muskulöses gegen seine Beine presste und zuerst ihn und dann den Jungen beiseiteschob. Der Balwolf tappte zu Neill, drückte die Schnauze unter seine Hand und jaulte wie ein eifriger Jagdhund. Ein zweiter Wolf stimmte ein. Lautlos sank zuerst der eine, dann der andere auf den nassen Schutt, und ihre borstigen Flanken bewegten sich nur noch schwach, als seien sie erschöpft. Das Loch in Neills Brust schäumte nicht mehr.
»Warum hast du nicht … ?«, protestierte der Junge mit gekränkter Stimme.
»Sei kein Narr. Du wirst deine Lebenskraft brauchen.« Er rief zwei weitere seiner überlebenden Wölfe herbei, und ihre schlaffen Leiber gesellten sich zu den übrigen. Sacht strich der Mann über den borstigen Haufen neben sich.
Etwas bewegte sich in dem Rauch und der Hitze, und aus dem zerstörten Inneren taumelte ein riesiger Wolf auf verwundeten Pfoten hervor. Er roch nach Blut, sein Fell war durchweicht, und er hatte Verbrennungen davongetragen. Gequält stieß sich Neill hoch, um ihn zu sich heranzuziehen. »Ah, Maifliege«, sagte er heiser und bettete das Gesicht auf das blutige Fell. Der Wolf erlaubte ihm, sich auf ihn zu stützen, und verhielt sich dabei so sanft wie ein Schäferhund.
»Was … ?«, fragte der Junge mit klagender Stimme.
Mit einer schnellen Handbewegung, die seine Verletzung Lügen strafte, griff Neill nach dem Kinn des Jungen. »Wie, bei der … Mutter konntest du … nicht wissen … dass der Keller … voller Sprengstoff war?«
»Es war nicht meine Schuld!«, rief der Junge und kämpfte sich frei. »Woher sollte ich das denn wissen? Niemand hat mir genug beigebracht.«
Der verwundete Schattengeborene gurgelte ein Lachen heraus. »Denkst du, du wärst
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