Schattengefährte
großen Flügel ihres schattenhaften Begleiters.
»Schließe die Augen«, sagte er leise. »Ich will sie küssen, damit ich lerne, wie ein Rabenkrieger das Herz einer Fee gewinnen kann.«
Kapitel 19
Er nahm sie nicht mehr in dieser Nacht. Dicht an ihn geschmiegt lag sie neben ihm, vernahm seinen unruhigen Herzschlag und spürte die Spannung, die seinen Körper immer wieder überfiel. Dann drehte er sich seufzend auf den Rücken und wartete eine kleine Weile, bis der Aufruhr seiner Wünsche sich gelegt hatte. Danach zog er sie wieder in seine Arme, bettete sie an seiner Brust und lohnte ihr Vertrauen, indem er sie sacht auf den Mund küsste.
Sein Bemühen war ehrlich gemeint und rührte sie, denn sie spürte, wie schwer ihm diese Zurückhaltung fiel. Sanft glitt sie in den Schlaf hinüber, sicher und geborgen an der Seite des Rabenkriegers, der nun wieder Fandur war, der zärtliche, kluge Gefährte, der Mann, dem ihre Liebe galt.
Sie erwachte von einem Schrei. Langgezogen und schaurig klang er in ihren Ohren, so dass sie angstvoll auf dem Lager hochfuhr. War es ein Drache, der über der Burg schwebte und nach ihr suchte? Doch der Klang war anders als der Ruf der Drachen, tiefer und ein wenig heiser, es war ein herrischer Ton, so wie der Feldherr seine Krieger zum Kampf ruft, und zugleich schien eine wilde Verlockung darin zu liegen.
»Was … was ist das?«
Fandur lag neben ihr auf dem Rücken, das dichte schwarze Haar hing ihm in die Stirn, in den schmal zusammengezogenen Augen glomm ein böser Funke.
»Hör nicht darauf. Komm zu mir.«
Er zog sie an seine Brust und strich ihr beruhigend über den Rücken, doch sie spürte an seinem raschen Atem, dass der unheimliche Schrei auch ihn beschäftigte.
»Willst du nicht nachsehen, wer da geschrien hat?«
Er überhörte ihre bange Frage, wie er es oft tat, wenn er keine Lust hatte, ihr zu antworten.
»Ich muss fort«, sagte er nach einer Weile. »Es ist längst Tag.«
»Aber es ist noch dämmrig.«
Er achtete nicht auf ihren Einwand, sondern fuhr mit hastigen Bewegungen in seine Gewänder, legte den Gürtel an, bekleidete sich mit seinem dunklen Gewandrock und nahm dann ein Bündel vom Boden auf, das er geschickt hinter dem Rücken vor ihr verbarg. Sie hatte es dennoch gesehen, es war sein schwarzes Federkleid, eng zusammengepresst erschien es wie ein dunkles, glänzendes Paket, das ohne Schnur fest zusammenhielt.
Sie zog die Decke hoch, denn sie war immer noch nackt, und es gefiel ihr nicht, jetzt von ihm betrachtet zu werden.
»Wohin fliegst du?«
»Hierhin und dorthin.«
Er neigte sich über sie, küsste ihre Stirn und wollte sich umwenden, um aus dem Raum zu gehen. Doch dann konnte er sich nicht bezwingen, kniete bei ihr nieder und nahm sie in die Arme.
»Du wirst viel zu tun haben, bis ich wiederkomme«, redete er auf sie ein. »Alle deine Schätze wirst du bestaunen, die Gewänder probieren, mit den Zwergen schwatzen und natürlich auch deine Pflanzen versorgen. Die Zeit wird wie im Nu vergehen, bis ich wieder bei dir bin …«
Hatte er Sorge, sie könne sich langweilen? Es schien ihm sehr schwerzufallen, sie zu verlassen, denn er presste sie mit beiden Armen fest an sich, als habe er Angst, sie bei seiner Rückkehr nicht mehr zu finden.
»Geh auf keinen Fall aus der Burg, Alina!«
»Nimm auch du dich in Acht«, sagte sie leise. »Vielleicht lauert dort draußen ein Drache.«
Er lachte tief und schnarrend, als habe er sich schon in den Raben verwandelt, dann löste er sich von ihr, fasste rasch das Federbündel, das er neben das Bett geworfen hatte, und ging mit eiligen Schritten hinaus. Die Pforte schleifte über den Steinboden, als er sie hinter sich zuzog, ein hässliches, knirschendes Geräusch, das ihr wehtat. Die Tritte seiner Stiefel waren nur für kurze Zeit zu vernehmen, bald verloren sie sich, und es wurde still um sie.
Und wenn nun tatsächlich ein Drache auf ihn lauerte? Vielleicht sogar mehrere? Oder etwas anderes? Gewiss gab es viele Zwischenwesen auf der Welt, vor denen man auf der Hut sein musste. Hastig warf sie ihr Gewand über, hielt es vor der Brust zusammen, denn Fandur hatte es in der Nacht von oben bis unten zerrissen, dann schlug sie den Wandteppich beiseite und kroch in die kalte Fensternische hinein.
Eisiger Hauch wehte ihr entgegen. Das Tal lag in grauer Dämmerung unter dem fahlen Himmel, an dem keine einzige Wolke zu sehen war, doch auch keine Sonne und kein Stückchen Himmelsblau. Ein dichter Schleier aus grauem
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