Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattengefährte

Schattengefährte

Titel: Schattengefährte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan MacFadden
Vom Netzwerk:
Schulter? Schimmerte dort nicht die weiße Strähne in seinem Haar?
    Ein gleißender Wirbel verdeckte das Bild, sie sah die firnbedeckten Spitzen der Schneeberge, umwölkt von eisigem Staub, den der Sturm wie Nebelschwaden über die Berge trieb. Die dunkle Gestalt eines Mannes hob sich von dem weißen Inferno ab, er kämpfte sich mit vorgeneigtem Oberkörper gegen Kälte und Sturm voran, sank bei jedem Schritt bis über die Knie in den Schnee ein, taumelte, stützte sich gegen einen Felsen, verharrte dort, erschöpft, mit seinen Kräften fast am Ende.
    Der Schmerz brach so heftig aus ihr hervor, dass sie sich auf ihrem Lager zusammenkrümmte, er schüttelte ihren Körper und netzte ihr Gesicht mit warmen Tränen. Verzweifelt warf sie sich hin und her, denn die boshafte Stimme der Hexe drang ihr in die Ohren.
    Wo Liebe lügt
    Da stirbt das Licht
    Das Dunkel siegt
    Das Starke bricht.
    Zorn erfasste sie inmitten ihres Kummers, und sie erwachte. Über ihr wölbte sich zackiges, vielschichtiges Felsgestein, es roch nach Feuchtigkeit, irgendwo tropfte ein unterirdisches Rinnsal. Sie befand sich in der Höhle der Hexe. Misstrauisch setzte sie sich auf und sah sich um, musterte jeden Felsvorsprung, jeden größeren Steinbrocken – die verfluchte Alte konnte sich überall verbergen, aus dem Gestein auftauchen und sich dann wieder in einen Fels verwandeln. Wieso aber sang sie die Lieder der Feen? Wer hatte ihr das erlaubt? Sollte sie doch ihre eigenen, scheußlichen Reime krächzen!
    Alina wischte sich das nasse Gesicht und schniefte, Augen und Nase waren vom Heulen ganz verquollen, dabei hatte sie gar keinen Grund zum Weinen, denn Fandur, dieser hinterlistige Rabe, hatte sie von Anfang an belogen und betrogen. Hatte er jemals von Liebe gesprochen? Nein. Er liebte die hässliche Morrigan. Wieso hatte sie eigentlich Angst um ihn gehabt, als sich seine Kameraden auf ihn stürzten? Er war ein Rabenkrieger und konnte nicht sterben – sie würden ihm eine kräftige Tracht Prügel verabreicht haben, die hatte er sich reichlich verdient. Wieder kamen ihr die Tränen, unglücklich zog sie die Knie an und legte den Kopf darauf, strich das lange Haar zurück, das sich an ihren nassen Wangen festklebte …
    Ihr Haar! Ihr Kleid! Ihre Hände und Füße!
    Sie war keine Räbin mehr! Sie war Alina, die Feentochter!
    Vor Freude stieß sie einen lauten Schrei aus, betastete ihr Gewand, ihre bloßen Füße, fuhr sich mit den Händen durch das lange Haar und ertastete die kurzgeschorene Stelle im Nacken.
    Dann hielt sie inne und blickte sich verwirrt um. Hatte sie dieser Hexe vielleicht sogar bitter Unrecht getan? War sie am Ende mit ihrer Mutter im Bunde? Oder hatte Etain die steinerne Alte aus der Höhle gejagt, um ihr Kind hier in Sicherheit zu bringen und in aller Ruhe zu verwandeln?
    »Etain?«, rief sie leise in die dämmrige Höhle hinein.
    Niemand antwortete, nur das lästige Rinnsal tropfte durch das Gestein, und draußen sang ein Rotkehlchen. Es musste früher Morgen sein, jetzt blitzte auch der erste schwache Sonnenschein am niedrigen Höhleneingang auf. Sie erhob sich von ihrem Lager, das keineswegs eine weiche Decke, sondern nur ein feuchter Haufen Herbstblätter war, schüttelte das zerknitterte Gewand und wollte zum Eingang laufen. Da hielt sie verblüfft inne.
    Federn wirbelten vom Boden der Höhle auf. Flaumfederchen, Brustfedern, Schwanzfedern, Schwungfedern – das Federkleid der Räbin lag überall in der Höhle verteilt, einige Fläumchen hingen sogar an den zackigen Vorsprüngen, andere hatten sich an den Saum ihres Kleides geheftet.
    Einen Augenblick zögerte sie, denn sie verspürte wenig Sehnsucht danach, sich noch einmal in eine Räbin zu verwandeln, dann jedoch entschloss sie sich, ihren Schatz einzusammeln. Es war eine mühsame Arbeit, denn die Federn lagen nicht nur in der Höhle, sie waren auch nach draußen geweht worden, Alina fand sie zwischen dem Herbstlaub am Boden, sie hingen an den Büschen, einige wollte schon das Eichhörnchen davontragen, um sich damit sein Nest auszupolstern. Wie hatte Fandur es fertiggebracht, sein Federkleid zu einem glatten Bündel zu ordnen? Sie kämpfte mit einem wirren Haufen schwarzer Kiele und Schwungfedern, aus dem sich die kleinen Fläumchen beim geringsten Luftzug wieder erhoben, um davonzusegeln. Schließlich band sie das widerspenstige Zeug in ihren Feenmantel ein und hoffte, dass ihr kein wichtiges Teil verlorengegangen war.
    Es war ein prächtiger Herbstmorgen. Die frühen

Weitere Kostenlose Bücher