Schattengefährte
wurde. Die Jäger hatten sie aufgespürt, sie verständigten sich untereinander, wer die Beute zuerst erblickte, würde seine Kameraden eilig herbeirufen.
Gerade in dem Augenblick, als der aufgehende Mond den Nebel mit silbrigem Licht erhellte, erblickte sie die dunklen Umrisse der Bäume. Der Wald! Vielleicht war das ihre Rettung, würden diese schwarzen Burschen ihr auch dorthin folgen? Gleich darauf war sie nur noch damit beschäftigt, zwischen den dunklen Stämmen hindurchzuflattern, ohne die Flügel dabei zu verletzen, und sie verfluchte die schlechten Rabenaugen, die ihre Sicht behinderten. Hart prallte sie gegen einen dicken Ast, krallte sich im letzten Moment am schrundigen Stamm der Eiche fest und verharrte dort, keuchend vor Erschöpfung und voller Angst. Der Herbst hatte den Bäumen schon einen Teil ihres Laubs genommen, so dass das Mondlicht hie und da durch die Baumkronen schien und den Nebeldunst weißlich färbte. Schatten bewegten sich zwischen den knorrigen Ästen, hüpften am Boden herum, flatterten in den Baumkronen – der Wald hatte ihre schwarzen Verfolger nicht aufhalten können, sie waren in ihrer Nähe, umgaben sie vielleicht schon von allen Seiten, gleich würden sie über sie herfallen, und dieses Mal war Fandur nicht da, um sie zu schützen.
Unter ihr glitt ein Wesen vorüber, grau wie der Nebel, schmal und lautlos, rote Augen glommen mordlustig in der Dämmerung. Das Krächzen eines Raben war zu hören, aufgeregt und wie ein Warnruf, dann knackte Gezweig, schrille Kriegsrufe erklangen, dazwischen das Knurren und Schnappen einer Bestie.
Der graue Wolf, dachte sie erschrocken. Ich bin dicht bei der Höhle, in der die Hexe lebt. Daraus kann nichts Gutes werden.
Ihre Krallen rutschten ab, und sie flatterte verzweifelt, um auf keinen Fall der grauen Bestie dort unten vor die Füße zu fallen, doch sie hatte Glück, denn ein Luftzug riss sie empor. Mit letzter Kraft wollte sie sich auf eine Astgabel retten, um sich dort vor Raben und Wölfen zu verbergen, doch die Zweige und Äste wichen vor ihr zurück, als seien sie lebendig, zwangen sie, immer weiter zu fliegen, ohne einen Ort zum Ausruhen zu finden.
»Dieser seltsame Baum, der über den Weg fiel und dann plötzlich wieder an Ort und Stelle stand«, erinnerte sie sich. Sie war in der Macht der Hexe, kein Weg führte jetzt mehr aus diesem Wald hinaus, zumindest nicht in der Nacht.
Hinter ihr kläffte und knurrte die graue Bestie, die Rabenkrieger krakeelten mit zornigen Stimmen, Zweige brachen und fielen krachend auf den Waldboden, Gestein kollerte, ein Gewässer rauschte.
Die Höhle schien die zerzauste, müde Räbin in sich einzusaugen, umgab sie mit grauem Fels und tiefer, für Rabenaugen undurchdringlicher Dunkelheit. Alinas Füße spürten etwas Weiches, das einer wollenen Decke ähnelte, und sie ließ sich darauf nieder. Ihre Erschöpfung war jetzt so groß, dass ihr alles gleich war. Sollte die Hexe mit ihr machen, was sie wollte, sie würde hier liegen bleiben und schlafen, nur schlafen …
Sie sank in den kühlen Abgrund, der Sinne und Gedanken löschte. Lange weilte sie dort, trieb wie ein Flaumfederchen im leichten Hauch, schwamm in silbernem Boot auf hellblauen Wellen und genoss heilendes Schweigen. Dann jedoch mischten sich Bilder in die Ruhe ihres Schlafes, wirr und seltsam, ohne Zusammenhänge, doch alle waren erschreckend. Die Zwergin Gora tanzte im Kreis und schwenkte triumphierend eine gleißende Haarsträhne, eisglitzernde Türen taten sich vor ihr auf, dahinter lagen Kerkerräume, mit eisernen Gittern verschlossen.
Feenzauber, tückischer Bann
Schlägt dich in Fesseln, schmiedet dich an
Wie Spinnweb so zart
Wie Eisen so hart
Bindet den Krieger zu ewiger Fahrt.
Ein grauer Wolf sprang auf sie zu, stierte sie an mit schrägen Augen und fletschte die Zähne, dann erblickte sie eine weite Schneefläche, auf der sich eine Schar Raben niederließ. Sie hatten Vogelkörper, aber menschliche Gesichter. In ihrer Mitte hockte die Morrigan, größer als alle anderen, blauschwarz gefiedert am ganzen Leib, das Menschenhaupt von dunklen, zerzausten Haarflechten umweht. Die Augen in ihrem bleichen Gesicht waren wie von schwarzem Onyx. Gestalten bewegten sich in der spiegelnden Schwärze der steinernen Augen, rotes Blut und weißes Totengebein leuchteten, ein Mann und ein Weib kämpften in wildem Liebestaumel miteinander. War es Fandur, der dort mit der Morrigan in süßer Umarmung rang? Sah sie nicht seine bronzefarbige
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