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Schattengefährte

Schattengefährte

Titel: Schattengefährte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan MacFadden
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stand Alina auf, entriegelte leise eines der Fenster und öffnete es einladend. Dann stellte sie die Laterne in eine Ecke, so dass ihr Schein nur verhalten durch das Zimmer fiel und legte sich wieder ins Bett. Dieses Mal würde sie wach bleiben, denn sie wollte sehen, wie der schwarze Gast in ihr Gemach eintrat und vor allem, wie die Verwandlung von Rabe zu Mensch sich vollzog.
    Es wurde eine Geduldsprobe. Stundenlang lag sie unbeweglich auf der Seite, hielt die Lider geschlossen und blinzelte nur immer wieder zum Fenster hinüber, doch nur der Nachtwind spielte mit dem Fensterflügel, schob ihn hin und her und ließ die bleiverglasten Scheiben zittern. Draußen war tiefschwarze Nacht, alle Sterne waren verdunkelt, und nur selten war für einen kurzen Augenblick das blasse Mondlicht zu sehen, schwach nur und wie durch einen dichten Nebel.
    Nach einer Weile stieg Beklemmung in ihr auf. Was, wenn er gar nicht kam? Hatte er ihr vielleicht versprochen, in dieser Nacht zurückzukehren? Gar nichts hatte er versprochen, außer, dass er ihr dienen wollte. Aber wie und wann er zu seinem Dienst antrat, das konnte sie nicht beeinflussen. Möglicherweise trieb er sich in weiter Ferne herum und hatte sie schon längst wieder vergessen. Schließlich war er ein Rabe, ein haltloser Bursche, immer auf seinen Vorteil aus, gierig, gewissenlos und dazu frei, wie es nur ein Vogel sein konnte.
    Das Licht der kleinen Laterne begann zu flackern, gleich würde es ausgehen, dann war es dunkel, und vielleicht fand er dann ihr Fenster nicht mehr. Einen Augenblick lang überlegte sie, ob sie eine neue Kerze einsetzen sollte. War es vielleicht gerade das Licht der Laterne, das ihn abhielt, in ihr Gemach zu kommen? Sie rang mit sich, dann aber stand sie auf und suchte eine Kerze aus der Truhe.
    Noch hockte sie vor der Laterne, um die Kerze an dem flackernden Lichtlein zu entzünden, da vernahm sie ein leises Kratzen am Fenstersims. Mit wild schlagendem Herzen verharrte sie, wandte langsam den Kopf und erblickte den schwarzen Schnabel des Raben, der hinter dem Fensterflügel hervorlugte.
    Er machte nicht viel Federlesens, hüpfte über den steinernen Sims, und als er auf den Dielenboden hinabsprang, flatterte er mit den Flügeln. Einen Augenblick lang blieb er hocken, nickte mit dem Kopf, als müsse er etwas vom Boden aufpicken, dann blickte er sie mit schwarz glitzernden Rabenaugen an, und ihr schien, als hing ein freches Grinsen um den breiten Ansatz seines Schnabels.
    Ihre Pulse flogen, und sie musste sich heftig zusammennehmen, um ihre Erleichterung und Freude vor ihm zu verbergen. Ganz konnte es freilich nicht gelingen, ihre Gesichtsfarbe würde sie verraten, denn ihre Wangen glühten.
    »Das Licht stört dich doch nicht – oder?«, erkundigte sie sich leise in harmlosem Ton.
    Der Rabe gab keine Antwort, doch er trippelte über den Boden in eine entfernte Ecke des Gemachs – vermutlich war er kein Freund heller Beleuchtung. Gebannt sah sie zu ihm hinüber, wartete auf die Verwandlung, fest entschlossen, dieses Mal keine noch so winzige Einzelheit zu verpassen.
    »Wende dich um!«
    Es war ein Flüstern, fast ein Zischen und konnte nur aus einer Rabenkehle dringen. Dennoch war es deutlich zu verstehen.
    »Weshalb?«
    »Ich bitte dich darum.«
    Du liebe Zeit, er war schamhaft wie ein Mädchen, wenn er sich verwandelte. Ärgerlich gehorchte sie, nutzte die Zeit, die Kerze in die Laterne zu setzen und spitzte zugleich die Ohren. Zuerst war gar nichts zu hören, dann ein leises Rascheln und Gleiten, schließlich vernahm sie ein Geräusch wie wenn Stoffe aufeinanderreiben.
    »Ich danke dir, Alina«, sagte er mit seiner menschlichen Stimme, und sie spürte, wie ihr weicher, tiefer Klang sie bezauberte.
    Da stand er, vom Licht der Laterne sanft beschienen, ein hochgewachsener Mann von schöner Gestalt, in blaues Tuch gekleidet, die silberne Gürtelschnalle blinkte, und die schwarzen Stiefel schienen heute so neu, als habe er sie mit Öl eingerieben und gebürstet.
    »Du kommst spät!«
    Sie hatte dies eigentlich nicht sagen wollen, denn er sollte auf keinen Fall glauben, sie habe auf ihn gewartet. Doch der Satz kam über ihre Lippen, ohne dass sie es verhindern konnte, und kaum hatte sie ihn gesprochen, da glitt ein Lächeln über sein ernstes Gesicht.
    »Ich habe gezögert, dich zu besuchen, denn ich fürchtete, dich gestern Nacht allzu sehr erschreckt zu haben. Vergib mir.«
    Es klang offenherzig, doch war sie sich nicht ganz sicher, ob er die

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