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Schattengefährte

Schattengefährte

Titel: Schattengefährte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan MacFadden
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ärgerlich und gehorchte. Er würde sein Geheimnis also wieder nicht preisgeben, der gerissene Bursche. Sie spürte, wie er sich von ihr löste und aufstand, hörte, wie er einige Schritte tat, dann knarrte leise der Fensterflügel – Fandur hatte ihn bis zum Anschlag geöffnet.
    Stille trat ein, nicht einmal das Kullern der Würfel oder Machas Schnarchen war zu vernehmen, auch draußen im Flur schienen alle Geräusche ausgelöscht. Dann glaubte sie, ein leises Rauschen zu hören, zart, wie wenn Federn übereinanderstreichen, eher durch einen kühlen Hauch spürbar, als mit dem Ohr vernehmbar.
    »Steh auf und gehe drei Schritte, ohne die Augen zu öffnen!«
    Was geschah wohl, wenn sie dennoch einen winzigen Blick wagte? Wenn sie nur ganz wenig die Lider hob und durch den schmalen Schlitz blinzelte? Doch sie hatte noch den zärtlichen Ausdruck in Erinnerung, mit dem er sie angesehen hatte, und sie wollte ihn nicht betrügen. Langsam erhob sie sich, setzte tastend die Füße, dann blieb sie erwartungsvoll stehen. Sie musste jetzt dicht vor dem Fenster sein, doch sie spürte die Kühle der Abendluft nicht. Stattdessen glaubte sie, die Wärme eines großen Körpers zu ahnen, und der Geruch, der zu ihr drang, erinnerte an Wind und an Tierhaar, an heimliche Ausritte durch Wald und Flur und an die Gewandung der Krieger nach einem Turnier.
    »Hebe jetzt beide Arme«, sagte seine leise Stimme. »Erschrick nicht.«
    Sie spürte Federn. Nicht die Federn eines Raben, sie waren viel größer, die Federkiele so stark wie die schlanken Zweige der Ebereschen, darunter war weicher Flaum, so zart, dass er die Hände kitzelte. Das Wesen, das dicht vor ihr stand, war ganz und gar von diesen Federn bedeckt und größer als sie selbst. So groß wie Fandur in seiner menschlichen Gestalt.
    »Tritt ganz dicht zu mir und schling die Arme um mich. Fester. Hab keine Sorge, du wirst mir schon nicht die Luft abdrücken. So ist es gut.«
    Ihr Körper tauchte in das warme, flaumige Federkleid seines Rückens ein, es war ein seltsames und zugleich wohliges Gefühl, ähnlich musste es ein junger Schwan empfinden, der auf dem Rücken seiner Mutter durch das Wasser getragen wurde. Dann jedoch spürte sie rechts und links ihres Körpers die starken Federn seiner mächtigen Schwingen, die er noch zusammengefaltet auf dem Rücken hielt. Ein Zittern erfasste sie, denn die Kraft, der sie sich anvertraute, erschien ihr gewaltig, und sie war ihr völlig ausgeliefert.
    »Darf ich die Augen jetzt öffnen?«
    »Noch nicht. Wenn wir jetzt aufsteigen, wirst du dich auch mit den Beinen an mir festklammern. Wirst du das schaffen?«
    »Natürlich. Ich bin eine gute Reiterin.«
    »Ich weiß …«
    Wie wollte er denn nur durch das kleine Fenster hindurchfliegen? Er war doch viel zu groß, sie würden stecken bleiben, schlimmstenfalls würde der hölzerne Fensterrahmen bersten, dann würden die Knechte erwachen, der Torwächter würde sie erspähen, die Hunde würden kläffen …
    Sie fühlte, wie sich der große Vogelkörper straffte, die kräftigen Ansätze der Flügel traten hervor, als er die Schwingen entfaltete, und sie hätte fast den rechten Moment verpasst, sich auch mit den Beinen anzuklammern, denn sie waren bereits im Flug. Kühle Nachtluft strich über ihren Rücken, rechts und links ihrer Brust arbeiteten die Muskeln und Sehnen seiner Flügel, der Wind griff wirbelnd in ihr Haar, und das Geräusch der großen Schwingen, die die Luft peitschten, betäubte ihre Ohren.
    »Öffne die Augen langsam. Halte dich gut dabei fest.«
    Sie blinzelte und hob den Kopf aus dem schützenden Federkleid. Sterne blitzten ringsum, riesengroß stand der Mond über ihr, goss weichen, silbrigen Schein über sie aus und schien sie mit sanften weißen Händen zu streicheln. Bläulich schimmerte das Federkleid des Wesens, das sie auf seinem Rücken trug, es war groß wie ein Mensch, doch sie konnte den glänzenden, spitzen Schnabel des Raben erkennen. Er trieb jetzt mit dem Nachtwind dahin, bewegte kaum noch die breiten Flügel, wandte den Körper nur leicht nach rechts oder links, um die Richtung des Flugs zu ändern.
    »Schau nach unten. Was siehst du?«
    Es war seine Stimme, tief und warm. Konnte sie aus dem Rabenschnabel gedrungen sein? Sie gab es auf, darüber zu mutmaßen und neigte sich vorsichtig zur Seite, um nach unten zu sehen.
    »Das ist die Burg meines Vaters«, rief sie entzückt. »Klein wie ein Spielzeug sind Mauern und Zinnen. Im Wasser des Grabens spiegelt sich

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