Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattengefährte

Schattengefährte

Titel: Schattengefährte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan MacFadden
Vom Netzwerk:
der Mond, ich kann sogar die Hunde auf dem Hof liegen sehen, den gemauerten Brunnen, die Wächter vor dem Tor.«
    Die Burg entschwand rasch ihren Blicken. Hügel, Dörfer und kleine Wäldchen wehten unter ihr vorüber, lagen auf den sanften Wellen der grauen, mondüberflossenen Landschaft wie Treibgut auf einem großen Gewässer. Sie wurde nun mutiger, rutschte ein wenig weiter hinauf, denn die blauschwarzen Flügel verdeckten ihr den Blick nach unten. Als sie einige der kräftigen Federn umfasste, um sich daran hochzuziehen, zuckte er zusammen, doch er sagte nichts.
    »Tut es dir weh?«
    »Kaum. Reiß mir aber bitte keine Federn mehr aus.«
    Sein Flug war ruhig, nur der Wind zerrte an ihrem Haar und ließ ihr Gewand flattern. Unten erblickte sie jetzt einen Bergkamm, schroffe, zackige Felsen erwuchsen wie eine Mauer aus dem Hügelland heraus, dahinter erhoben sich weitere, noch gewaltigere Berge. Wasserfälle rieselten wie weiße Fäden den Felsen herab, in dunklen Schluchten glänzten wilde Gewässer.
    »Das rote Gebirge! Dort sind die Werkstätten der Handwerker. Ich sehe den Rauch der Öfen aufsteigen. In was für erbärmlichen Hütten sie leben.«
    Jetzt, da sie die Bergkette überflogen, duckte sie sich in das Rabengefieder, denn aus den Felsen stiegen neblige Dünste auf. Unendlich schien das Gebirge sich auszudehnen, dann aber wurden die Felsen runder und kleiner, eine weite Ebene breitete sich vor ihren Augen aus, dunkle Wälder bedeckten sie, und der Geruch feuchter Erde und saftiger Pflanzen stieg zu ihr auf.
    »Nirgendwo bricht die Erdenscholle in die Endlosigkeit ab«, sagte sie befriedigt. »Hinter dieser Ebene werden sich wieder Berge erheben, nicht wahr?«
    »Bis ans Meer reicht die Erde und darüber hinaus ans andere Ufer«, sagte er. »Wohin soll ich dich jetzt bringen?«
    »Zum wandernden Fluss. Ich will wissen, was mit meinem Vater geschehen ist.«
    Er änderte die Richtung mit wenigen Bewegungen, sie beschrieben einen Bogen über der Ebene, und jetzt nutzte er die Kraft seiner Schwingen, um seinen Flug zu beschleunigen. Alina presste sich dicht an seinen Rücken und barg sich in seinem Federkleid vor der eisigen Luft, die über sie hinwegbrauste. Wo waren sie nur? Nie hatte sie solche Kälte gespürt. Unter ihnen glitzerten Eiskristalle im Mondlicht, wie ein breites, bläulich glänzendes Band wand sich der gläserne Fluss durch die schneebedeckten Hügel. An einigen Stellen war seine Oberfläche aufgebrochen, Eisschollen türmten sich, schoben sich ineinander und bildeten grauweiße Flecken auf der durchsichtigen Glasdecke. Alina glaubte, das Knistern des Frosts zu hören, der die gezackten Flügelenden des Raben weiß umrandete und den Stoff ihres Gewands steif gefrieren ließ.
    Als schon die dichten Wälder und die vielen, mäandernden Adern des wandernden Flusses vor ihnen auftauchten, zitterte sie immer noch vor Kälte, und sie schlang Arme und Beine fest um den warmen Körper ihres nächtlichen Flugwesens. Nur langsam wich der Frost, und unter ihnen sah man jetzt die rechteckigen Formen der Felder, auf denen Früchte und Getreide reiften, und dahinter die dunklen, trutzigen Burgen ihres Vaters. Keine Belagerer waren zu erkennen – entweder hatte ihr Vater sie verjagt, oder die Feinde hatten die Burg eingenommen.
    »Flieg näher heran – vielleicht kann man erkennen, was geschehen ist«, bat sie.
    »Wir sind nahe genug«, meinte er zögernd. »Sieh dort am Fluss die zerschlagenen Schilde und die zerfetzten Standarten. Wenn mich meine Augen nicht trügen, dann sehe ich den schwarzen Wolf auf rotem Grund. Die Wolfskrieger wurden besiegt und mussten Schilde und Fahnen dem Feind lassen.«
    »Flieg über die Burgen – ich will ganz sicher sein. Wehen dort die Fahnen mit dem schwarzen Eber?«
    Sie reckte sich in die Höhe und kniff die Augen zusammen, um schärfer zu sehen. Aber alles, was sie erkennen konnte, waren die dunklen, klobigen Türme, die breiten Zinnen und dazu einige Raben, die sich jetzt von ihrem Sitz lösten und im Mondlicht emporflatterten.
    Ihr nächtlicher Begleiter vollführte eine gewagte Wendung, und sie musste rasch in sein Gefieder greifen, um nicht den Halt zu verlieren.
    »Was ist denn los? Fast wäre ich heruntergefallen.«
    »Du sollst dich festhalten, Alina.«
    Es klang unfreundlich, und sie ärgerte sich über ihn. Aber natürlich hatte er Recht, sie durfte nicht leichtsinnig werden, er hatte ihr von Anfang an gesagt, wie wichtig es war, sich gut

Weitere Kostenlose Bücher