Schattengefährte
behauptet hatte, war sie sich fast sicher, dass es kein gewöhnlicher Wolf gewesen war.
»Ich habe keine Ahnung, wo wir sind, Herrin«, rief Ogyn laut gegen das Getöse der Natur an. »Man hat mir gesagt, ich brauchte nur dem Pfad zu folgen – aber bei dieser Düsternis könnte es sein, dass wir längst an dem Ort vorbeigelaufen sind.«
»Wenn es die Höhle ist, die ich kenne, dann muss sie ganz in der Nähe …«
Sie konnte den Satz nicht beenden. Durch das Brausen des sturmgepeitschten Waldes vernahm man jetzt ein lautes Stöhnen, als sei ein Wesen in Todesnot, es knackte und knarrte dicht neben ihnen, und der gewaltige, knorrige Stamm einer alten Eiche neigte sich über den Weg …
»Zurück! Rasch!«, schrie Alina.
Sie kämpfte mit ihrer Stute, die in wilder Panik durchgehen wollte. Krachend schlug der große Baum quer über den Pfad, riss im Fallen kleinere Bäume und Buschwerk mit sich, dicke Äste zerbarsten, Laub und Gestein flog umher, und das gewaltige Wurzelwerk der gefallenen Eiche hob sich wie ein Hügel von dem Waldboden empor.
»Baldin! Ogyn!«, rief Alina verzweifelt in das Waldesbrausen hinein, denn sie konnte ihre Freunde nicht mehr sehen.
»Wir sind hier …«, kam es unter dem Gezweig der gestürzten Eiche hervor. Es war Baldins Stimme.
Alina glitt aus dem Sattel und verfluchte Ogyns blödsinnigen Einfall, diese hinterhältige Hexe aufzusuchen. Das hatten sie nun davon.
»Wo steckt ihr denn? Seid ihr verletzt? Ogyn! Was ist mit dir?«
Ihre Stimme schallte laut und einsam durch den Wald, so dass sie selbst erschrak. Um sie herum war es mit einem Mal still geworden, kaum ein Ästchen regte sich noch, nur der gefallene Baum seufzte leise, und seine Wurzeln knackten. Was war das für ein Sturm gewesen, der so urplötzlich in sich zusammenfiel und nur Schweigen hinterließ?
Unter dem Eichengeäst regte es sich, sie entdeckte Baldins dünne Beine, die sich strampelnd aus dem Gewirr der Zweige befreien wollten. Dann erkannte sie Ogyns kahlen Schädel, umrahmt von dunklem Eichenlaub, er blickte sich voll Verwunderung nach allen Richtungen um und machte dann einen untauglichen Versuch, der Umarmung der Äste zu entkommen.
»Es ist uns nichts geschehen, Herrin«, sagte er und betastete seine Nase. »Mir scheint nur, dieser Baum möchte uns nicht gern wieder freigeben.«
»Wenn’s weiter nichts ist …«
Sie lief herbei und streckte die Hand aus, um ihm behilflich zu sein, doch Ogyn schüttelte den Kopf.
»Ich glaube fast, Herrin, dies war ein Zeichen. Für uns ist der Weg hier zu Ende, denn wir sind nicht willkommen. Ihr müsst allein weitergehen.«
»Das kommt überhaupt nicht infrage«, rief Baldin keuchend vor Anstrengung. »Ich werde Euch begleiten, Herrin. Sobald ich aus diesem verdammten Astgewirr heraus bin … Verfluchte Sache, es scheint, als wüchsen dieser Eiche immer neue Zweige, kaum hat man sich befreit, umschlingt sie einen schon wieder …«
Tatsächlich kam es auch Alina so vor, als regten sich die Eichenäste wie starke Arme, fuhren hin und her, kreuzten sich und hielten die beiden Menschen fest, die in ihre Macht geraten waren. Sie gingen sacht dabei vor, fast schien es, als wollten sie ihre Gefangenen nicht verletzen, doch sie waren auch nicht bereit, sie aus dem belaubten Gefängnis entkommen zu lassen.
Verwirrt schaute sich Alina um, ob von irgendeiner Seite Hilfe zu erwarten war – da erblickte sie jenseits des gestürzten Baumes den grauen Fels und den schwarzen, zerklüfteten Höhleneingang. Vielleicht hatte Ogyn ja Recht, sie musste allein zu dieser Hexe gehen, um sie zu befragen. Gern tat sie es nicht, denn die Streiche, die diese Dame ihnen gespielt hatte, waren niederträchtig.
»Bleibt hier und verhaltet euch ruhig«, befahl sie verärgert. »Ich gehe hinüber und werde ein Wörtchen mit der Alten reden.«
Sie band die Stute vorsichtshalber an einem Zweig fest, dann suchte sie nach einer Möglichkeit, den quer über dem Pfad liegenden Baumriesen zu übersteigen. Doch als sie sich näherte, wich das Astwerk zurück, gab ihr den Weg zum Stamm frei, und es schien fast, als drehte der Eichenstamm sich ächzend in eine günstige Lage, streckte ihr hilfreich seine dicken Knoten und abgebrochenen Aststümpfe entgegen, damit sie sie beim Klettern nutzen konnte. Leichtfüßig überstieg sie das Hindernis, brauchte kaum ihr langes Kleid zu raffen, so als habe der Baum selbst ihr eine Brücke auf die andere Seite gebaut.
Auch für ihre scharfen Augen war die
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