Schattengefährte
hatte, nun aber aussah wie eine ganz gewöhnliche Felsnase. Immer noch schlug ihr Herz aufgeregt, Tränen stiegen ihr in die Augen, zugleich aber war sie voller Zorn.
Was für eine widerwärtige Person! Heimtückisch hatte sie ihr Spiel mit ihnen getrieben, und genau so waren auch ihre Reden gewesen. Hatte sie ihr etwa die Zukunft gewiesen? Nur dummes Gewäsch hatte sie ihr erzählt.
Kapitel 13
Als sie aus der Höhle trat, empfing sie Vogelgezwitscher, durch die hohen Baumkronen fiel das Tageslicht in sanften Schleiern bis hinab auf den Waldboden. Auf dunklen Moospolstern wuchsen gelbe Blütensterne, zartblättriger Farn schimmerte in hellem Grün und neben dem Pfad rieselte ein klares Rinnsal. Es war der Wald, den sie von vielen Ausflügen her kannte, nichts erinnerte mehr an die stürmische Finsternis, durch die sie sich hatten kämpfen müssen.
Sie wischte sich die Augen, denn auch die umgestürzte Eiche war verschwunden. Ihre beiden Gefährten saßen auf einem bemoosten Felsen, sie schienen unversehrt, nur die Flecken in ihren Gewändern taten kund, dass sie noch vor kurzer Zeit Bekanntschaft mit dem dunklen Waldboden gemacht hatten. Nicht weit von ihnen in einer Lichtung stand Niam und rupfte seelenruhig reife Heidelbeeren von den niedrigen Sträuchern.
War alles nur Lug und Trug gewesen? Blendwerk der Hexe, die ihre Sinne verwirrt hatte, damit sie Dinge sahen und spürten, die es gar nicht gab? Was war das für ein Wesen, das solche Macht über ihre Fantasie hatte? Ein Mensch konnte sie nicht sein – was aber dann?
»Herrin! Wie lange Ihr fortgeblieben seid!«, rief ihr Baldin entgegen und sprang auf. »Hätte Ogyn mich nicht beschworen zu bleiben – ich wäre Euch in die Höhle gefolgt.«
Auch Ogyn erhob sich hastig, den Blick unverwandt auf Alina gerichtet, als versuche er in ihren Zügen zu lesen.
»Habt Ihr sie gesprochen? Was hat sie gesagt?«, fragte er aufgeregt.
»Wirres Zeug.«
Sie spürte, wie enttäuscht er war, doch sie konnte ihm nicht viel anderes vermelden. Ohne sich bei ihm aufzuhalten, lief sie zu ihrem Pferd und zog die Stute zurück auf den Pfad.
»Lasst uns zurückreiten. Ich habe wenig Lust, dieser Person ein zweites Mal zu begegnen.«
»Aber … hat sie denn keinen Rat geben können? Sagte sie nichts darüber, wie wir die Gefahr wenden könnten?«
»Kein Wort.«
Alina hob den Fuß, um in den Sattel zu steigen, und Baldin stürzte herbei, um ihr den Steigbügel zu halten. Der Knappe hatte wenig von dem begriffen, was Ogyn mit diesem Ritt bezweckte – Baldin war sehr froh, seine Herrin zurück zur Burg geleiten zu können.
»Kein Wort? Wirklich nichts? Sprach sie nicht vielleicht von den Feen?«
»Die Hexe? Was sollte sie wohl von Feen wissen!«, entgegnete Alina mürrisch und rückte sich im Sattel zurecht. »Nein, sie sprach nur von Dunkelheit, von Eis und von totem Fels. Macht Euch einen Reim darauf, wenn Ihr könnt.«
Ogyn war wie vor den Kopf geschlagen, ganz offensichtlich hatte er sich Wunderdinge von dieser Hexe erhofft. Armer Bücherwurm, der er war. Das Leben war nicht so, wie es in seinen Folianten beschrieben wurde, und wer seine Hoffnung auf die Hilfe einer Hexe setzte, der verschwendete nur seine Zeit.
Der Rückweg war beschwerlich, denn bald stellte sich heraus, dass mit der Hoffnung auch Ogyns letzte Kräfte geschwunden waren. Immer wieder musste er stehen bleiben, sich mit dem Arm gegen einen Stamm stützen, und als er schließlich bat, eine kleine Weile rasten zu dürfen, stieg Alina ab.
»Niam, meine schöne Niam«, sagte sie leise ihrer Stute ins Ohr. »Er ist ein schwerer Bursche und reiten kann er auch nicht gut. Aber sein Herz ist ebenso wund wie seine Füße, deshalb bitte ich dich, ihn auf deinem Rücken zu tragen.«
Niams Schnauben klang nicht nach freudiger Zustimmung, doch als Alina und Baldin den völlig erschöpften Gelehrten in den Sattel hoben, hielt die Stute still. Sie wartete geduldig, bis Ogyn sich stöhnend und jammernd zurechtgesetzt hatte, und setzte ihre Schritte dann so bedachtsam, als habe man ihr einen Sack voller Gold auf den Rücken geladen.
Bald stiegen feine Nebeldünste aus dem Boden des Waldes auf, und als sie den Waldrand erreichten, sahen sie nur noch die Kuppen der Hügel, denn die Senken waren von grauem Dunst erfüllt. Ein stickiger Geruch lastete über der Landschaft, warm und streng, es war nicht nur der Geruch des Nebels und des Erdbodens, dem die modrige Feuchte entströmte. Der Himmel war bedeckt, nur im
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