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Schattengeschichten

Schattengeschichten

Titel: Schattengeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hauke Rouven
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langweilen, berichte ich doch nicht über irgendeinen Vorfall. Nein, ich werde der Frage nachgehen, warum Benjamins Selbstmord gar keiner war, auch wenn der Anschein..., aber ich greife vor.
    Jeder von uns hat von Menschen gehört, über sie gelesen oder vielleicht sogar welche gekannt, die sterben wollten und ihrem Leben daher frühzeitig ein Ende setzten. Ob es an einem mangelnden Lebenssinn, schlechten Verhältnissen oder bestimmten Krankheiten lag, die den Selbstmörder diese Welt verlassen ließen, was er sich vornahm, setzte er in die Tat um, auch wenn einige Leben gerettet werden konnten, weil Studierte den Selbstmörder mit der modernen Medizin bekannt machten.
    Ich kannte so einen Menschen, einen Selbstmörder, obwohl er nie ein Wort darüber verloren hatte, dass er nicht mehr leben wollte.
    Benjamin war sein Name. Und wir wurden ein Paar während der Schulzeit. In der achten Klasse, nachdem ich sitzen geblieben war, lernte ich ihn kennen. Wir stellten schnell fest, dass wir viele Gemeinsamkeiten hatten und teilten sie seitdem. Unsere Mütter hatten beide ein zweites Mal geheiratet und unsere wirklichen Väter trieben sich irgendwo auf diesem Planeten herum. In der Schule fühlten wir uns wie Ausgestoßene, die niemals mit den anderen Schülern das teilen würden, was wir teilten.
    Ich wurde öfters nach Treffen gefragt, weil ich das Mädchen war und mich viele hübsch fanden, und nicht selten prügelte sich Benjamin mit den Kerlen, eher aus Eifersucht, als zum Beschützen meiner Ehre. Aber vielleicht tue ich ihm damit unrecht. Er war trotzdem der Held, den sich jedes Mädchen wünscht.
    Unsere größte Leidenschaft überdeckte jede negative Nuance, die unser Leben vernarbte: Das Erfinden, Erzählen und Erleben von Horrorgeschichten. Es verging kaum ein Tag, an dem wir nicht irgendwelche Bücher lasen oder Filme guckten, selbst Texte schrieben, sogar Comics zeichneten oder improvisierte Hörspiele aufnahmen. Alles im Rahmen einer Parallelwelt, die Monster beherbergte, vor denen die meisten Menschen sich fürchteten, auch wenn sie nicht real waren, zumindest auf der Erde.
    Auch als wir älter wurden, ließ die Faszination für eine von Dämonen bevölkerte Welt nicht nach. Im Gegenteil, wir brauchten immer ausgefallenere Sachen für unseren Kick. Die wahrhaftigsten Freuden schenkte uns ein Ort, der sehr wohl in der Realität existierte, und wohl noch existiert. Und an den meisten Wochenenden eines Jahres kosteten wir dort unsere Fantasie in der Freiheit aus. Gewöhnliche Regeln galten nicht mehr.
    Wenn ich bei Benjamin übernachtete, und das kam häufig vor, legten wir uns gegen elf Uhr schlafen, um keinen Verdacht zu erregen. Das hieß, wir spielten schlafend, während wir im Dunkeln über den baldigen Aufbruch tuschelten und an uns rumspielten.
    Sobald seine Eltern schliefen, öffneten wir sein Fenster (Ben wohnte im Erdgeschoss, was unser Vorhaben stets vereinfachte) und stahlen uns im Dunkel der Nacht davon wie zwei Einbrecher nach ihrem Raubzug. Wir wussten, dass seine Mutter nie ins Zimmer schauen würde, wenn ich bei ihm war. Aber die minimale Wahrscheinlichkeit, dass sie es doch tat, erhöhte den Nervenkitzel. Bis zu seinem Tod blieben uns die Konsequenzen einer Entdeckung allerdings erspart.
    Waren wir einmal aus seinem Elternhaus ,geflohen’, liefen wir über wenig befahrene Straßen, erschreckten uns gegenseitig, taten so, als ob wir allein noch Menschen waren. Es war die Kraft der Worte, die uns an das glauben ließ, was wir die ,andere Welt’ nannten. Dass wir jemals einen Ort finden würden, an dem unsere Fiktion sich mit einer Realität messen konnte, hatten wir niemals für möglich gehalten.
    In einem Hinterhof, unweit von ungenutzten Schrebergärten, stand dieses Haus, dessen Fenster vernagelt und Türen zerbrochen waren. Es war mit schwarzem Holz gebaut worden, dass im Sonnenlicht unwirklich schimmerte, als wäre nur die Dunkelheit für seine Präsenz bestimmt gewesen. Der Boden auf dem Gelände war uneben, verdorrt und weich wie ein Totenacker. In ihm versank ich öfters, wenn ich meine Stiefel trug. Auch Ben hatte manchmal Mühe sich fortzubewegen. Sei es aus Angst, dem Haus näher zu kommen oder weil er wirklich von der Erde unter sich festgehalten wurde. Manchmal glaubten wir, dass Hände uns gepackt hielten. Wir fürchteten uns. Das war unser Ziel gewesen. Doch das Grauen kroch sich viel weiter unter unsere Haut mit jedem Schritt, der uns näher zum Gebäude brachte.
    Erreichten wir

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