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Schattengeschichten

Schattengeschichten

Titel: Schattengeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hauke Rouven
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das einzige Gebüsch auf diesem Gelände, das nur einen oder zwei Meter vom Eingang verdurstet aus dem Boden ragte, stieg dieser Wind auf. Ein jedes Mal. Ob es Winter oder Sommer war, es tatsächlich windig oder so still wie im Vakuum. Dieser eisige Wind ergriff jeden braunen Halm, unsere Körper und auch die Tür, diese rote Eingangstür, die fortan klappernd auf uns wartete. Es klopfte und rumorte im Inneren des düsteren Gebäudes, das über zwei Stockwerke verfügte und dessen spitzes Dach wie eine Antenne in den Himmel ragte. Es schien seine eigenen Frequenzen zu kreieren, denen Ben und ich willenlos ausgeliefert waren. Denn hatte das Grauen uns erst einmal ergriffen, brauchten wir mehr. Und das Haus wusste es.
    Mit dem letzten Schritt, der die Eingangstür erreichte, öffnete sie sich und ließ uns hinein in die düsteren, verwinkelten Räume und kurzen Gänge, der weiß bemalten Treppe, die in ein sinnloses Stockwerk führte. Gleichwohl es im Erdgeschoss nur zwei Räume und eine Küche gab, beherbergte das Haus oben lediglich einen vollständigen, aber leeren Raum, den keine Wand durchbrach. Die beiden Seiten des Daches senkten die Wände zu meterhohen Schrägen, an deren oberster Stelle, an dem einzigen Balken ein Seil befestigt war und zu uns hinunter lachte mit einer Schlinge, die sich nach frischen Hälsen sehnte.
    Und wenn wenig später die Schritte zu hören waren, die einer Kreatur gehörten, die unter uns wanderte, glaubten wir, unser Herz stünde still, so gebannt, voller Erwartung auf ihren Anblick. Sie ging jedoch nie die Treppe hinauf. Entweder, weil sie annahm, dass oben nichts war oder weil sie uns noch Zeit ließ, bis wir bereit waren für ihren Anblick.
    Von diesem Ort bekamen wir nicht genug. Und egal wie oft wir ihn schon besucht hatten, er übte jedes Mal dieselbe Faszination und das gleiche Grauen auf uns aus. Diese Zeit mag ich als meine schönste Zeit in meinem bisherigen, kurzen Leben bezeichnen. Und sie ist schon länger vorbei. Das Haus besuchten Ben und ich vielleicht ein dreiviertel Jahr lang. Da waren wir schon in der zehnten Klasse.
    Und jetzt, während ich diese Zeilen schreibe, und mich nach diesem Haus sehne, bin ich einundzwanzig Jahre alt und sitze in einem Zimmer, das ich so schnell wie möglich wieder verlassen möchte. Ich belege es nur, bis es mir besser geht. Dass ich schreibe, hilft mir sehr.
    Aber ich wollte ja über Ben schreiben. Lieber Ben. Mein geliebter Ben. Der nicht vom Haus lassen konnte und es allein aufsuchte, als ich krank wurde. Der völlig verstört, noch in derselben Nacht bei mir anrief und, kaum hatte ich ein ,Hallo’ in die Muschel geraunt, zu Tode erschrocken Folgendes berichtete:
    „Isabelle, ich war in diesem Haus. Ich weiß, wir haben gesagt, dass wir nicht alleine hin gehen. Tut mir leid. Und jetzt weiß ich auch, dass ich es nie wieder machen werde. Denn... denn, ich habe es gesehen, Isabelle. Das Ding, das unten spaziert. Und es ist so grauenhaft. Ich kann es dir nicht beschreiben. All der Horror, dem ich bisher ausgesetzt war, ist nichts im Vergleich zu diesem Monster, dieser entstellten Fratze eines Leichnams. Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Es war schrecklich, es stank nach den letzten Stadien der Verwesung...“, und mit einem Ekel in der Stimme ergänzte er: „...und es hat mit mir geredet.“
    Ich lauschte voller Grauen, eisige Kälte kroch mir über den Nacken und während ich noch überlegte, ob ich mir seinen Horror ebenfalls wünschte, knisterte es im Telefonhörer, etwas klopfte, dann war wieder Stille.
    „Ben?“ fragte ich. Meine Furcht vor diesem Etwas stieg, während den Sekunden, die ich ihn nicht hörte. Ich fragte noch mehrmals seinen Namen in die Muschel, bis er endlich antwortete.
    „Entschuldige. Ich dachte, hier wäre was.“
    „Alles okay?“ Er reagierte nicht auf meine Frage.
    „Isabelle, es hat mit mir geredet“, fuhr er stattdessen in seinen Bericht fort, „Seine Stimme war wie ein Gewirr aus Tierlauten, Schluckgeräuschen und ich weiß nicht was. Aber ich verstand es sehr gut, als es sagte, es könnte meine Angst sehen, diese Furcht vor dem Tod, die ich mit Grauen zu stopfen versuche. Es wollte mir den letzten Wunsch erfüllen. Da streckte es eine Hand nach mir aus. Es war mehr eine Klaue, mit schwarzer Haut bezogen, die sich über klobige Knochen spannte. Kurz bevor es mich berühren konnte, bin ich weg gerannt. Es war entsetzlich, Isabelle. Und ich rufe dich an um dir mitzuteilen, dass ich da

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