Schattengesicht (quer criminal) (German Edition)
klar, dass er zwar alles hatte – einen eigenen Laden, jede Menge Geld und die Macht, uns respektlos zu behandeln –, aber eines würde er nie besitzen: ihre Hüften. Denn die waren nicht käuflich. Die Kleider waren aufreizend, aber der Farbton war hässlich. Hässlich wie seine Gier. Gudrun erinnerte ihn daran. Jeden Abend.
Ich hielt Polly die Tür auf, dann ging ich selbst hindurch. Als ich die Tür losließ, schwang sie so heftig auf und zu, dass es klang, als würde eine Peitsche durch die Luft zischen.
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Seit ich Flössow das Leben gerettet hatte, ging ich ihm weniger aus dem Weg. Wir begegneten uns am Briefkasten, im Supermarkt, auf der Treppe. Wir grüßten einander, aber über das, was passiert war, sprachen wir nicht.
Auch jetzt bekam er weiterhin Besuch. Zweimal in der Woche klingelte es an seiner Tür, jemand trat ein, nahm die Gummistiefel mit und kam nach einer Weile wieder raus.
„Irgendwas stimmt da nicht“, sagte Polly eines Tages, als ich ihr das Mädchen vom Spion aus beschrieb. „Hat sie ’ne Tasche bei sich?“
„Ja“, sagte ich. „Eine große Hello-Kitty-Tasche.“
Vincent strich durchs Zimmer, ging dann zu Polly und stemmte schnurrend seinen Kopf gegen ihre Wade. „Ich sag dir, da läuft was ganz Mieses. Irgendein linkes Ding“, sagte sie und zog das Bein weg. Vincent sah zu Polly hoch. Sie nähte gerade ein Halsband für ihn. „Wahrscheinlich schleppen die Mädels geklautes Zeug ran. MP3-Player, Handys“, sagte sie. „Er versorgt sie mit dem nötigen Kleingeld und vertickt das Zeug dann im Internet. Mit Gewinn, versteht sich. – Na los, jetzt spring schon hoch“, sagte sie und klopfte auf den Platz neben sich. Vincent sprang, schmiegte sich an Pollys Arm und begann sich dann zu putzen.
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Sie sah mich nicht, strebte von der Tür direkt zur Bar, bestellte etwas Grünes, was sie dann im Stehen trank, ohne abzusetzen. Dann zog sie einen Barhocker näher, setzte sich und bestellte sich noch so einen Drink. Polly, die meinem Blick gefolgt war, betrachtete Yvette neugierig.
Ich hetzte einen halben Takt zu schnell durch den Song. Yvette sah nur auf die Flaschen hinter der Bar, sie drehte sich nicht um, aber sie würde es garantiert gleich tun.
Und dann? Was würde Yvette denken, wenn sie mich hier sah? Ihre Lehrerin. In einer Kaschemme und in einem ziemlich engen Kleid. Würde sie das Gleiche denken, was Polly und ich am Anfang von Gudrun gedacht hatten?
Oder war es gar nicht das, was mich nervös machte? Ich beendete den Song, sagte leise Merci ins Mikro, stand auf und ging zu Gudrun, die heute als Gast in der Bar saß. Ich bat sie, kurz zu übernehmen, und ging zu Polly.
„Ich glaube, sie lässt sich volllaufen“, sagte Polly leise. Dass sie trotz unserer Abmachung sprach, merkte ich kaum. Ich ging hinüber zur Bar und legte Yvette die Hand auf die Schulter.
Sie fuhr sofort herum, als wäre meine Hand elektrisch oder als hätte sie jemanden erwartet, jemand Bestimmtes, doch als sie mich sah, ließ sie die bereits erhobene Hand wieder sinken und atmete auf. Sie griff nach ihrem Glas, trank und sagte dann: „Frau Helmholz, was machen Sie denn hier?“
„Das wollte ich dich fragen“, sagte ich. Ich nahm ihr das Glas aus der Hand.
„He“, sagte Yvette, und endlich kam etwas Leben in sie. Von ihrem Lippenstift waren nur noch die Ränder zu sehen, ihr Lidstrich war viel zu hart. Er erdrückte ihre Augen. Sie sah aus wie jemand, der ein neues Gesicht anprobiert und noch nicht gemerkt hatte, dass es nicht passte. Ich schnupperte an dem Drink, der süßlich nach Kiwi roch. Und nach Rum. Ich stellte das Glas zurück auf die Bar und sagte: „Du bist fünfzehn. Das hier darfst du gar nicht trinken!“
Da tat sie das Letzte, was ich erwartet hatte: Sie beugte sich zu mir, legte den Kopf an meine Schulter und fing an zu weinen.
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Ich zog Yvette vom Hocker, damit die Umstehenden uns nicht so angafften, und führte sie zu Pollys und meinem Tisch. Polly sah Yvette sofort mitfühlend an und legte ihr die Hand auf den Arm. Sie hielt sich jetzt aber an die Regel und sprach nicht. Yvette sah Polly an, lächelte. Doch dann sank sie in sich zusammen und schluchzte heftig.
Paul stand plötzlich an unserem Tisch. Noch ehe ich es verhindern konnte, platzte Polly heraus: „Das Mädchen braucht einen heißen Kakao.“
Ich biss mir vor Schreck auf die Zunge, aber Paul war mit etwas ganz anderem beschäftigt.
„Warum spielst du nicht?“, blaffte er mich an.
„Ich hab
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