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Schattengesicht (quer criminal) (German Edition)

Schattengesicht (quer criminal) (German Edition)

Titel: Schattengesicht (quer criminal) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Wagner
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unterrichtete, in Fach- oder Seminarsitzungen saß oder an meiner Seminarschule lernte, dafür genutzt haben, Hunderte Pailletten für mich auf dieses Tuch zu nähen.
    Als wir in die Bar kamen, merkten wir es gleich. Irgendetwas stimmte nicht. Paul, der Barkeeper, war noch schlechter gelaunt als sonst. Er sah angestrengt aus, wischte sich immer wieder mit dem Gläsertuch über das verschwitzte Gesicht. Und dann fiel es mir auf: Gudrun war nicht da. Weder stand sie am Klavier und trank ihren obligatorischen Drink, noch war sie an der Bar und rauchte.
    Ich ging zum Tresen und orderte die Drinks. Paul schüttelte den Shaker so heftig, als wollte er das Getränk besinnungslos schütteln. Hinter uns rief jemand: „Was is’n mit der Musik heute? Wo bleibt Gudrun?“
    „Die hat sich freigenommen“, zischte Paul.
    „Jeder braucht mal Urlaub, was?“ Der Typ trank sein Bier aus, stellte das Glas auf den Tresen, bemerkte mich und sagte: „Im Red Cat nebenan gibt’s auch Musik. Kommst du mit, Kleine?“ Ich schüttelte lächelnd den Kopf und sah ihm nach, wie er durch die Bar zum Ausgang strebte. Dabei rief er in alle Richtungen: „Gudrun kommt heut nicht. Hat frei!“
    Da war Polly plötzlich an meiner Seite und zeigte zu Paul. Er telefonierte.
    „… ist mir egal, Schätzchen, dass du es mir schon heute Morgen gesagt hast. Du versaust mir jetzt gerade die Abendeinnahmen. Die Leute rennen in Scharen ins Red Cat und füllen dem alten Sack die Kassen!“ Er redete so laut, dass mir der Mund offen stand. Mit seinem Anfall trieb er die Leute ja erst recht auf die Straße. „Na und? Ist es etwa mein Problem, dass dein Balg krank ist? Seit heute Morgen hast du Zeit gehabt, einen Babysitter zu besorgen! Das wird doch nicht so schwer sein! … Fieber, Fieber – wenn ich das schon höre! Wer Fieber hat, schläft umso besser …“ Seine Stimme kippte über. Die Leute ließen die halbvollen Gläser stehen, schüttelten die Köpfe und gaben sich keine Mühe, beim Rausgehen die ausschlagende Saloontür abzubremsen. „Nein, du hörst jetzt mal zu. Es steht mir schon lange so Einiges bis zum Hals. Zum Beispiel, dass du nach jedem dritten Lied eine durchziehen musst. Ich bezahl dich nicht fürs Quarzen!“ Er umklammerte das Handy so fest, dass die Adern an seinem Handrücken heraustraten. „Pass auf, Mädchen, du bewegst dich sowieso auf dünnem Eis. Du schwenkst jetzt deinen Arsch hierher …“ Es sah aus, als wollte er das Handy zerquetschen, „… und wenn du nicht in einer halben Stunde hier bist oder mir bis dahin einen Ersatz besorgt hast, ist die Sache erledigt, klar? Dann war’s das für dich! Ich hab …“
    Ich sah nicht mehr, was er mit dem Handy anstellte. Polly hatte mich schon von der Bar weggeschoben, durch die hinausdrängenden Leute, zu unserem Tisch, wo ich die Drinks abstellte, und als ich mich setzen wollte, gab sie mir einen Stoß und ich stolperte vorwärts, bis ich fast ans Klavier stieß.
    „Jetzt mach schon“, zischte Polly. Als ich mich setzte und den Deckel hochklappte, sah ich, dass ein paar Leute stehen blieben und sich interessiert umdrehten. - - -
    „Now you say you’re lonely … you cried the whole night through …“ Ich spielte leise, viel zu leise. Ich drückte die Tasten kaum runter. Und meine Stimme kam zu schwach, ich flüsterte. Ich hatte noch nie öffentlich gesungen.
    Ich fühlte mich wie früher, als ich dreizehn war und vor allen Schülern ein Gedicht aufsagen sollte. Ich sah hilfesuchend zu Polly. Sie ließ die Hand wild durch die Luft kreisen, feuerte mich an.
    Und da ließ ich meine Angst einfach los. Ich hatte nichts zu verlieren. Es ging nicht um mich. Es ging um Gudrun. „Noooooow you say you’re sorry …“, sang lauter, löste endlich den Blick von den Tasten und ich sah mein Publikum an, „… for being so untrue … cry me a river … cry me a river …“ Meine Stimme war nicht so rau wie die von Gudrun, aber sie hatte etwas Dämmriges. Die Gespräche wurden leiser, die Leute setzten sich wieder, und die an der Bar standen, drehten sich um. Paul stierte mich von hinter seinem Tresen aus an. Auf seiner Stirn stand eine scharfe Falte. Die Diskokugel drehte sich langsam über mir, ließ das Licht wie scharf geschnittenes Konfetti herabrieseln, brach Pauls Gesicht in winzige Stücke. „You drove me, nearly drove me out of my head … while you never shed a tear … I cried a river over you.“
    - - -
    Manchmal hörten wir B duschen. Manchmal hörten wir, wie ein

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